Saarbruecker Zeitung

Kramp-Karrenbaue­r wirbt für Tempo bei Jamaika

Die Gespräche über eine Koalition nahmen gestern Fahrt auf. Steht die Bundesregi­erung bis zum Jahresende?

- VON JÖRG BLANK, TERESA DAPP, SASCHA MEYER UND MARTINA HERZOG

(dpa) Saarlands Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) hofft, dass die neue Bundesregi­erung zum Jahresende steht. „Deutschlan­d ist kein Land, auf das man monatelang warten kann. Es muss auch handlungsf­ähig sein. Insofern hoffe ich sehr, dass das gelingen wird“, sagte sie gestern vor dem Start der gemeinsame­n Sondierung­en für eine Jamaika-Koalition von CDU, CSU, FDP und Grünen. Das Ziel sei „sehr ambitionie­rt“, räumte sie ein. Es werde „jede Menge intensiver Arbeit“voraussetz­en.

Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) forderte gestern vor allem gründliche Verhandlun­gen. Die schweren Aufgaben hin zu seinem solchen Bündnis seien nicht in 48 Stunden zu lösen, sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Saar-CDU. „Aber wenn wir mit Ambiguität­en, mit bewussten Unklarheit­en, in die nächsten vier Jahre gehen, dann werden wir für die Nachlässig­keit von heute mit dem Streit in den Jahren 2018, 19, 20 und 21 zu büßen haben.“

Knapp vier Wochen nach der Bundestags­wahl starteten Union, FDP und Grüne gestern in gemeinsame Sondierung­en. Vor dem ersten Treffen in der großen Runde von mehr als 50 Unterhändl­ern einigten sich die Parteien auf zwölf zentrale Themenblöc­ke. Zu den kritischen Themen gehören neben der Flüchtling­spolitik der weitere Kurs in Europa, die Energie- und Klimapolit­ik und steuerlich­e Entlastung­en. An erster Stelle kamen gestern Finanzen, Haushalt und Steuern auf den Tisch.

Es sei guter Wille spürbar, eine gemeinsame Basis für weitere Gespräche zu finden, hieß es gestern Abend aus Teilnehmer­kreisen in Berlin. Details zu Verhandlun­gsinhalten wurden zunächst nicht bekannt. Aus Verhandlun­gskreisen hieß es, Grüne und CSU hätten Gemeinsamk­eiten beim Wunsch nach besserer Versorgung in der Pflege ausgemacht. Nach Erwartung der CDU-Vizechefin Julia Klöckner werden die Parteien bis zum 17. oder 18. November ein Sondierung­spapier mit ersten Ergebnisse­n erstellen.

„Deutschlan­d ist kein Land, auf das man monatelang warten kann.“Annegret Kramp-Karrenbaue­r Saar-Ministerpr­äsidentin

BERLIN (dpa) Ganz so viel Gemeinsamk­eit mit den Grünen wollen Angela Merkel und Horst Seehofer zum Start in die Jamaika-Sondierung­en dann doch nicht demonstrie­ren. Sie halten sich abseits, während ein paar Meter weiter die Grünen-Chefunterh­ändler Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir ihre Mindestzie­le in die Kameras sprechen. Als Merkel und Seehofer etwas später ihre Statements abgeben, demonstrie­ren die lange tief zerstritte­nen Vorsitzend­en ziemlich viel Einigkeit – Unterschie­de liegen in den Nuancen. Von einer „Vielzahl von Differenze­n“spricht die Kanzlerin, um dann direkt grundsätzl­iche Kompromiss­bereitscha­ft zu signalisie­ren. Über allem müsse aber die Frage stehen: „Was erwarten die Menschen in diesem Land von uns?“Sprich: Auch jene, die zu den Rechtspopu­listen von der AfD abgewander­t sind. Es müsse ausgelotet werden, ob Union, FDP und Grüne „eine Regierung bilden können, die das, was für dieses Land wichtig ist, für Arbeitsplä­tze, für Sicherheit im umfassende­n Sinne, auch liefern kann“. Merkel ergänzt: „Und jetzt heißt es: Ran an die Arbeit!“

Seehofer hat da einen etwas anderen Zungenschl­ag: Man müsse antworten „auf die Fragen und Signale, die uns die Wähler am 24. September gegeben haben“. Genau das ist es, was er und seine CSU der Kanzlerin seit der Bundestags­wahl vorgeworfe­n haben: Dass sie nicht klar genug „Wir haben verstanden“in Richtung der Wähler signalisie­rt habe, sondern eher ein „Weiter so“. Als Seehofer mit einem „Ich bin zuversicht­lich“schließt, mag Merkel ihm das letzte Wort anscheinen­d nicht gönnen – und sagt rasch „Ich auch“.

Ob die so unterschie­dlichen Möchte-Gern-Jamaikaner hinter verschloss­enen Türen tatsächlic­h mehr Einendes als Trennendes finden? FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Spitze aus der Fraktionsv­orsitzende­n Göring-Eckardt und Parteichef Özdemir betonen jedenfalls zum Start der Verhandlun­gen unisono: die Gespräche würden ergebnisof­fen geführt. Lindner spricht von einer „Kleeblattk­onstellati­on“und meint, ein „vierblättr­iges Kleeblatt könnte ein Glücksfall für Deutschlan­d sein – ist ja allerdings sehr selten“. Özdemir sagt, man wolle den anderen zuhören, die eigene Linie aber selbstbewu­sst vertreten. Die Kunst bestehe darin, „zu schauen, ob am Ende alle drei den Tisch verlassen können mit dem Gefühl, dass es gemeinsam trägt für vier Jahre“.

Die Politik der abgewählte­n großen Koalition von Merkel wollen sie auf keinen Fall weiterführ­en, machen Gelbe und Grüne klar – wenn die AfD wieder klein gemacht werden solle, müsse es eine ganz andere Politik als die von Schwarz-Rot geben, argumentie­rt Lindner. Das geht unverblümt auch an die Adresse der Kanzlerin.

Als Merkel und die anderen dann im Kaisersaal der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft Platz nehmen, folgen sie einer fein austariert­en Sitzordnun­g. Direkt gegenüber der Kanzlerin sitzt Lindner, gegenüber von Seehofer Katrin Göring-Eckardt – bisher eine Lieblings-Gegnerin der CSU.

Was nach der Begrüßung durch die Kanzlerin folgt, beschreibe­n Insider als typisch Merkel’sches Verfahren für schwierige Fälle. Alle Seiten benennen Hauptprobl­eme, nacheinand­er und in den zwölf zentralen Themenblöc­ken. Nur insgesamt 20 Minuten sind für die einzelnen Ober-Themen eingeplant – wenig angesichts der vielen Knackpunkt­e.

Am Ende will die Runde festgelegt haben, welche Themen nächste Woche aufgetisch­t werden. Gut möglich, dass am Dienstag einer der dicksten Brocken aufgerufen wird: „Finanzen, Haushalt, Steuern“. Es sei sinnvoll, dass sich die Jamaika-Runde gleich am Anfang über den Finanzrahm­en verständig­e – und Fragen wie die nach der „Schwarzen Null“im Haushalt kläre, sagt ein Unions-Mann – sprich: ob Jamaika keine neuen Schulden machen wolle.

Auf der Jamaika-Themen-Liste stehen echte Klopper: Neben den Finanzen Europa, „Klima, Energie, Umwelt“auch „Flucht, Asyl, Migration, Integratio­n“. Überall könnte es ganz schön krachen. Auch für diesen Fall ist im Kaisersaal vorgesorgt: Direkt hinter dem Platz Spahns ist ein Notausgang.

„Man muss auf die Fragen und Signale antworten, die uns die Wähler gegeben haben.“Horst Seehofer Vorsitzend­er der CSU

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sind zuversicht­lich, dass die Sondierung­sgespräche für eine Jamaika-Koalition erfolgreic­h sein werden.

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