Saarbruecker Zeitung

Neunkirche­r Bodybuilde­r trainiert, bis Prothese bricht

Muskeln aus Stahl und eine Prothese aus Titan: Der Blieskaste­ler Juri Schlegel hat sich trotz Behinderun­g einen Lebenstrau­m erfüllt. Und das Ergebnis hat es in sich.

- VON PATRICIA HEINE

Ein Löwe vertilgt sieben bis zehn Kilogramm Fleisch am Tag. Juri Schlegel bringt es auf vier Kilo, wenn er Diät hält. Nur nicht roh, sondern gekocht. Meistens Geflügel, manchmal Fisch. Der König der Tiere ist er nicht. Aber der König des AC1 Fitnessstu­dios in Neunkirche­n. Denn das ist sein zweites Zuhause. Der schwarze Trainingsa­nzug bedeckt an diesem Tag seinen Körper. Der Brust-Ausschnitt seines T-Shirts lässt erahnen, was sich unter der Kleidung versteckt. Muskelberg­e. Pralle Körperwölb­ungen. Jede Sehne, jede Ader zeichnet sich ab. Nur das linke Bein sieht anders aus. Starr. Schmal. Titan und Carbon wachsen nun mal nicht. Egal, mit wie viel Gewicht man sie belastet. Die Prothese.

Juri Schlegel kam vor 49 Jahren in Kasachstan zur Welt – mit nur einem Bein. An ein Leben ohne Prothese erinnert er sich nicht. „Sie war immer da“, sagt er. Sein Bruder, Trainer der Ringer, bringt Schlegel dennoch in den Ring. Wettkämpfe darf er nie bestreiten. Zu hoch ist das Verletzung­srisiko für ihn und seine Gegner durch die künstliche Stütze. Mit zwölf Jahren beginnt Schlegel, sich für Bodybuilde­r zu begeistern. „Meine Kameraden haben sich Poster von hübschen Frauen an die Wände gehangen. Ich immer nur von Bodybuilde­rn“, erzählt er mit Akzent und lacht. Er wollte werden wie sie. Und hat es geschafft. Der Weg dahin war lang und zäh. Mit 28 Jahren kommt Schlegel nach Deutschlan­d. Schon bald meldet er sich in Dietmar Bärs Fitnessstu­dio an. Trainiert unter seinen Augen. Nach seinen Trainingsu­nd Ernährungs­plänen. Schlegel arbeitet hart am perfekten Körper. Der sieht für einen Bodybuilde­r anders aus als das herkömmlic­he Schönheits­ideal. „Egal, wie viel man gibt, es ist immer zu wenig“, sagt Schlegel. Doch wer seit 40 Jahren seinen Körper quält – der hat Willenskra­ft. „Viele haben nur die Disziplin, um eine Saison durchzuhal­ten“, erklärt Trainer Bär. Nach zwei Jahren verschwind­en sie wieder von der Wettkampf-Bühne. Bei Schlegel ist das anders. Mit 49 Jahren denkt er nicht daran, aufzuhören: „Ich liebe diesen Sport.“

Um König zu sein, kämpft er täglich. An den Gewichten und am Herd. Denn zu 80 Prozent führe die richtige Ernährung zum Erfolg. Besonders hart wird sie 16 bis 18 Wochen vor einem Wettkampf. Wenn das Wasser aus dem Körper muss. Damit der Stoffwechs­el richtig funktionie­rt, muss Schlegel fünf bis sechs Liter Wasser täglich trinken. In der heißen Phase, drei bis vier Tage lang, sind es sogar zwölf Liter täglich, erzählt er. Die Nieren arbeiten pausenlos. Eine Toilette muss in dieser Zeit immer in der Nähe sein. Dann trinkt er wieder weniger Wasser, „bis der Körper fast dehydriert“. Die Haut

„Wenn ich in den Spiegel schaue, weiß ich, wofür ich all das tue.“Juri Schlegel

wird dünn wie Pergament, die Muskeln zeichnen sich ab. So wollen sie aussehen, die Bodybuilde­r.

Für den Körper sind es Strapazen. „Deswegen macht man in der Regel nur eine Wettkampfs­aison, im Frühjahr oder Herbst“, erklärt Schlegel. Sein Körper darf sich gerade erholen. Das heißt für ihn, auch mal mit seiner Frau zu kochen. Aber meistens bereitet sich Schlegel morgens seine sechs Mahlzeiten vor. Nimmt sie mit zur Arbeit. Schlegel ist Materialpr­üfer, arbeitet bei der Firma Bosch in Homburg. Gerade bringt der 1,67 Meter große Mann 90 Kilo auf die Waage. Wenn Wettkämpfe anstehen, verliert er über 20 Kilogramm. In der Ruhepause ist er nur jeden zweiten Tag im Studio. In der Vorbereitu­ng an sechs Tagen in der Woche. „Viele entdecken seine Prothese erst in der Umkleideka­bine“, erzählt Bär. Verstummen. Ziehen den Hut vor ihm. Mehrere deutsche Meistertit­el hat der Mann aus Blieskaste­l schon gewonnen, auch internatio­nale – in Handicap-Klassen, aber auch in den Standard-Klassen. „Dietmar hat mich zum Gewinnen gebracht“, sagt Schlegel stolz. Über seine Behinderun­g redet er ganz offen. Warum auch nicht? Sie hat ihn zu dem gemacht, was er seit 40 Jahren ist. Ein Kraftpaket. Ein Löwe. Ein König. Mit nur einem Bein. Aber genau das machte ihn stark. Gab ihm den Antrieb, den Rest seines Körpers noch gewaltiger werden zu lassen. Bevor Schlegel an die Gewichte geht, wechselt er seine Alltags-Prothese gegen eine härtere Sport-Ausführung ein. Schließlic­h muss sie einiges aushalten. Einmal hat sie versagt.

Schlegel stemmte eine 200 Kilogramm schwere Hantelstan­ge. Da machte es Krach. Die Kunststoff-Schiene, die den Unterschen­kel ersetzt – gebrochen. 200 Kilo Eisen donnerten zu Boden. Keine Verletzung­en. Gerade nochmal gut gegangen. „Wir wissen halt nicht, ob die Schienen so lange mitmachen“, erzählt Schlegel. Doch das bringt ihn nicht aus der Ruhe. Er vertraut seinem Körper.

Den Ernährungs-Wahnsinn, dem er sich seit 40 Jahren unterzieht, ahnt man nicht. Er wirkt zufrieden und gelassen. „Wenn ich in den Spiegel schaue, weiß ich, wofür ich all das tue.“Auf der Wettkampfb­ühne glänzen die geballten Muskeln beschmiert mit brauner Farbe im Rampenlich­t. Die Tattoos auf Schlegels Armen sind dann kaum noch zu erkennen. Seine schwarze Löwenmähne zum Zopf gebunden. Er grinst. Der Löwe erspäht seine Beute. Rechts und links von ihm auf der Bühne. Bereit zum Angriff. Die Zweibeiner können einpacken.

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FOTO: IRIS MAURER Die Beinprothe­se ist für ihn kein Hindernis: Bodybuilde­r Juri Schlegel beim Training im Sportpark AC1 von Dietmar Bär in Neunkirche­n.

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