Saarbruecker Zeitung

Ein schlechtes Brexit-Zeugnis

Die Europäisch­e Union ist mit den bisherigen britischen Angeboten für einen Ausstieg unzufriede­n. Zur Strafe will sie deshalb erst ab Dezember mit den Briten über die künftigen Beziehunge­n sprechen.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Irgendetwa­s muss hinter den Kulissen des EU-Gipfels in Brüssel passiert sein. Denn als Ratspräsid­ent Donald Tusk am Freitag nach dem Treffen eine Bilanz der Brexit-Diskussion­en zog, sprach er überrasche­nderweise von den „britischen Freunden“. Solche Vertraulic­hkeiten hatte man schon lange weder vom Vereinigte­n Königreich noch von europäisch­er Seite gehört. „Es hat Fortschrit­te gegeben, aber sie sind unzureiche­nd“, sagte Tusk.

Die Bundeskanz­lerin klang nur wenig anders. Was bisher in den Verhandlun­gen über den Ausstieg der Briten aus der Union erreicht wurde, sei „nicht ausreichen­d“, sagte sie. Aber Angela Merkel gab sich zuversicht­lich, dass es kein Scheitern geben werde: „Ich habe da überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir alle geistig klar sind“, meinte sie. Hinter verschloss­enen Türen hatte Premiermin­isterin Theresa May offenbar deutlich verbindlic­her als noch in der Vergangenh­eit die Bereitscha­ft zu einem Abkommen mit der EU angesproch­en. „Die Worte von Frau May waren sehr konstrukti­v, sehr versöhnlic­h, durchaus problembew­usst“, analysiert­e der scheidende österreich­ische Bundeskanz­ler Christian Kern. Nur Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker gab sich schweigsam: „Über den Brexit sage ich nichts, weil es nichts zu sagen gibt.“

Doch was zu wenig ist, reicht eben nicht. Und so verschob die Europäisch­e Union den Beginn der zweiten Brexit-Phase erst einmal auf den kommenden Dezember – einige sagten auch „mindestens bis Dezember“. Es hakt vor allem am Geld. 20 Milliarden hat May bisher angeboten. Doch die EU fordert mehr. Nicht im Sinne einer Schlussrec­hnung, sondern für zugesagte Haushaltsm­ittel, für die Pensionen ehemaliger britischer EU-Beamter und den Londoner Anteil an Förderproj­ekten. Es gehe, so hieß es am Rande des EU-Gipfels, nicht um konkrete Summen, sondern um die Frage, welche Verpflicht­ungen Großbritan­nien anerkennt, um dann auszurechn­en, was aussteht.

Dagegen bestätigte­n alle Seiten, dass beim Aufenthalt­srecht von EU-Bürgern auf der Insel erkennbare Schritte getan wurden. Das dritte Streitthem­a – die künftige Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland – wird wohl ohnehin erst gelöst werden können, wenn die zukünftige­n Beziehunge­n auf der Tagesordnu­ng stehen. Interessan­terweise habe May nach Angaben von Gipfel-Teilnehmer­n angekündig­t, man wolle keine „physischen Veränderun­gen an den Grenzüberg­ängen“, was als Verzicht auf Kontrollst­ellen gewertet wurde. Aber die EU-Chefs hatten es satt, sich mit solchen Ungenauigk­eiten abspeisen zu lassen. „Es ist langsam der Zeitpunkt, dass Großbritan­nien die Karten auf den Tisch legt“, sagte Kanzler Kern. „Wenn das geschieht, werden die Briten sehen, dass ihr Blatt möglicherw­eise schwächer ist, als sie ursprüngli­ch geglaubt haben.“Damit gehen die Gespräche zunächst einmal unveränder­t weiter.

Wie London seine Beziehunge­n zu den 27 EU-Staaten gestalten will? Großbritan­nien wisse das wohl noch nicht, hieß es in Brüssel. Die Europäisch­e Union wolle in den kommenden Wochen bis zum Dezember ihre Position detaillier­t ausarbeite­n. „Wir werden sehr gut vorbereite­t sein“, sagte Merkel. Daran scheint es tatsächlic­h nicht den geringsten Zweifel zu geben. Denn beim Brexit-Thema dokumentie­rte die EU in diesen Tagen etwas, was ihr bei vielen anderen Herausford­erungen abhanden gekommen scheint: Geschlosse­nheit.

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FOTO: MAYO/AP/DPA Die britische Premiermin­isterin Theresa May vermied beim EU-Gipfel konkrete Zusagen.

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