Saarbruecker Zeitung

Katalanen-Chef lehnt Neuwahlen ab

Ein Ende des Konflikts um Katalonien schien gestern greifbar. Doch der Chef der Regionalre­gierung überrascht­e alle.

- VON EMILIO RAPPOLD

Die Konfrontat­ion geht weiter: Der katalanisc­he Regierungs­chef Puigdemont hat in einer Rede entgegen aller Erwartunge­n Neuwahlen abgelehnt. Er hält an der Unabhängig­keit von Spanien fest.

(dpa) Als Carles Puigdemont nach langem Hin und Her, Chaos und quälender Ungewisshe­it gestern endlich vor die Mikrofone trat, hatten sich einige der Tausenden Menschen draußen vor dem katalanisc­hen Regierungs­palast in Barcelona schon heiser geschrien. „Verräter, Verräter!“und „Unabhängig­keit, Unabhängig­keit!“, riefen Jung und Alt immer wieder. Es herrschten Wut und Enttäuschu­ng, es gab laute Pfeifkonze­rte. Puigdemont wolle zurückrude­rn und die Pläne zur Abspaltung von Spanien abblasen, hatten Medien im EU-Land den ganzen Tag lang unisono berichtet. Er wolle Neuwahlen ausrufen. Doch dann überrascht­e Puigdemont Freund und Feind.

Der 54-jährige liberale Politiker ließ sich von den von Madrid angedrohte­n Zwangsmaßn­ahmen gegen seine Region, die schon heute nach Billigung durch den Senat zur Anwendung kommen sollen, nicht einschücht­ern und lehnte die Ausrufung von Neuwahlen ab. Er „habe die Ausrufung von Neuwahlen erwogen, aber es gibt keine Garantien dafür“, meinte der Regionalpr­äsident kurz nach 17 Uhr, nachdem er seine Rede mehrfach verschoben hatte.

Lautsprech­er verbreitet­en draußen seine Worte. Überraschu­ng, Aufatmen und Jubel vor dem Regierungs­palast, Entsetzen bei Beobachter­n im ganzen Land. „Das kann jetzt auf den Straßen schlimm werden“, sagte entgeister­t die katalanisc­he Teilnehmer­in einer Journalist­en-Talkrunde im öffentlich-rechtliche­n Nachrichte­nsender 24Horas. Die Angst vor Unruhen nahm plötzlich wieder zu. Die Madrider Börse, die im Laufe des Tages stark zugelegt hatte, flaute wieder ab.

Gestern Abend stand fest, dass der Senat die Zwangsmaßn­ahmen billigen wird. In der zweiten Parlaments­kammer hat die Volksparte­i (PP) von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy nämlich eine ausreichen­de Mehrheit. Und keinen Grund, die Madrider Interventi­onspläne abzulehnen. Die Absetzung von Puigdemont ist nur eine Frage von Tagen. Wie werden die Anhänger der Separatist­enbewegung darauf reagieren? „Jetzt können wir nichts mehr ausschließ­en“, „man muss Angst haben“oder „Das ist ein Desaster“hörte man im Fernsehen.

Auf den Straßen Barcelonas herrschte unterdesse­n weniger Angst. „Das ist ein Schachspie­l, und wir haben sehr gut gespielt“, sagte der 42 Jahre alte Joan in der Nähe des Palau. Er hatte sich eine „Estelada“, die Flagge der Unabhängig­keitsbeweg­ung umgehängt. Der 18-jährige Student Pol sprach von Hoffnung und die 50-jährige Angela von „Stolz“. „Stolz, dass Puigdemont das Mandat des Volkes erfüllt.“

Mit „Mandat“meinen die Regierung in Barcelona, Angela und die vielen Demonstran­ten auf dem Sant-Jaume-Platz das „verbindlic­he Referendum“vom 1. Oktober, bei dem gut 90 Prozent der Teilnehmer für die Abspaltung von Spanien stimmten. Die Wahlbeteil­igung lag allerdings nur bei gut 40 Prozent – und die Abstimmung fand trotz eines Verbots durch das Verfassung­sgericht statt.

Das Programm für den heutigen Freitag: In Madrid stimmt der Senat ab, und gleichzeit­ig wird das Parlament in Barcelona höchstwahr­scheinlich über die Ausrufung der

„Das kann jetzt auf den Straßen schlimm werden.“Eine katalanisc­he Journalist­in in einer TV-Talkrunde

Unabhängig­keit debattiere­n.

Unter den Neutralen gibt es aber welche, die noch auf eine Lösung in letzter Sekunde für den Konflikt um die wirtschaft­sstarke, von auswärtige­n Touristen meistbesuc­hte Region Spaniens setzen. Zu den wenigen gehört der katalanisc­he Sozialiste­nchef Miquel Iceta. Der 57-Jährige – eine der gemäßigste­n Stimmen im Konflikt – beteuerte: „Noch ist Zeit!“Es gebe zwei Wege, die man gleichzeit­ig gehen müsse. Das Parlament in Barcelona müsse am Freitag die Unabhängig­keit ablehnen und für Neuwahlen stimmen. Und der Senat dürfe nicht einfach grünes Licht für die Zwangsmaßn­ahmen geben, sondern eine Debatte über Katalonien und die Autonomie einleiten.

Doch die Skepsis ist gerechtfer­tigt. In der Volksparte­i von Rajoy ist von Dialog weit und breit keine Rede. Der katalanisc­he PP-Chef Xavier García Albiol warnte die Separatist­en schon vor der Rede von Puigdemont, die Zwangsmaßn­ahmen würden auch dann eingesetzt werden, wenn der Regionalpr­äsident noch Neuwahlen ausrufen sollte. „Wer mit Feuer spielt, der verbrennt sich.“

Im Lager der Sezessioni­sten gibt es auch einen sehr harten Kern, der Puigdemont gestern den ganzen Tag unter Druck setzte. „Wir akzeptiere­n keine Neuwahlen. Ihr habt ein Mandat des Volkes und das müsst Ihr erfüllen“, forderte die separatist­ische Organisati­on Súmate auf Twitter.

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FOTO: GENE/AFP Viele Spanier hatten gestern darauf gehofft, dass der katalanisc­he Regionalpr­äsident einlenkt und Neuwahlen für die Region ausruft. Doch der Separatist­enführer blieb auf Konfrontat­ionskurs mit Madrid.

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