Als sich die Vorreiter der Energiewende im Gasthaus Woll trafen
SAARBRÜCKEN „Da muss es gewesen sein, da kam der Zöllner“, sagt Christian Runge und zeigt vor sich, als das Taxi auf der Straße nach Spichern die Kehre erreicht. Noch einmal muss er jetzt die Geschichte von der unerwarteten Begegnung mit jenem Grenzwächter erzählen, die ihm hier 1988 fast das Herz in die Hose rutschen ließ. Als Vertreter des saarländischen Europaministers war der promovierte Jurist Runge damals mit einem ganzen Kleinbus voller internationaler Forscher unterwegs, um sie am Vorabend eines EU-Kongresses zum Gasthaus Woll auszuführen.
Unter den Gästen, allesamt Vorkämpfer für Erneuerbare Energien, befand sich auch Klaus Thiessen, der jetzt im Auto vor Runge fährt. Als Physikprofessor an der Humboldt-Uni und Nationalpreisträger war Thiessen zwar privilegiert, dennoch durfte er als DDR-Staatsbürger nicht die Grenze passieren. Hätte der französische Zöllner Thiessens Pass kontrolliert und gestempelt, wäre der Professor bei der Heimkehr in die DDR womöglich in den Knast gewandert. Doch sie hatten Glück. Als der Zöllner hörte, dass die Gruppe beim Woll reserviert hatte, befand er eine Kontrolle für unnötig.
Und deswegen fährt Runge fast 30 Jahre später mit einigen der damaligen Forscher, die längst gute Freunde geworden sind, nun noch einmal zum Woll. Noch einmal wollen sie einen auf den Schreck von damals trinken, „typisch französische Küche“genießen und die Erinnerungen hochleben lassen. Klaus Thiessen hat aus Berlin sogar Fotos von damals mitgebracht. Der emeritierte Professor ist schon neunzig, stützt sich beim Gehen auf zwei Wanderstöcke, doch ist noch immer in aller Welt unterwegs. Einstmals ein begeisterter Befürworter der friedlichen Nutzung der Atomenergie wurde er noch vor Tschernobyl zu ihrem Gegner. Seit 1960 beschäftigt er sich mit Photovoltaik, gründete Eurosolar Russia mit und hielt erst vor drei Wochen in Moskau eine flammende Rede für die Erneuerbaren Energien.
Wolfgang Palz ist schon achtzig, lebt in Paris und schreibt gerade an seinem Standardwerk über Solarenergie. Der gebürtige St. Wendeler mit einer beeindruckenden Vita, war unter anderem bei der EU-Kommission für Erneuerbare Energien zuständig und musste die Forscher alle zwei Jahre zur Berichterstattung zusammentrommeln. Durch Vermittlung von Oskar Lafontaine sorgte er 1988 dafür, dass der EU-Kongress nach Saarbrücken kam. „Damals stand die Solarenergie ja noch ganz am Anfang“, sagt Palz.
Doch sowohl ihn als auch Thiessen und Christian Runge ließ sie seitdem nicht mehr los. Alle drei sind auch Redaktionsmitglieder der unabhängigen Moskauer Umwelt-Zeitschrift „Ecolife“, die Thiessens einstiger Doktorand Alexander Samsonov seit 21 Jahren herausgibt. Der war zwar 1988 beim Woll und beim Saarbrücker Kongress noch nicht dabei, aber auch er hat zur saarländischen Landeshauptstadt einen persönlichen Bezug. Seine Mutter lebe seit zehn Jahren hier auf dem Rodenhof, erzählt er. Thiessen bestellt sich noch einen Wodka. „Ohne den kann ich nicht schlafen“, sagt der 90-Jährige lächelnd. Dann geht es relativ zeitig schon wieder zurück nach Saarbrücken. Denn am nächsten Morgen will Runge seinen alten Mitstreitern noch so einige Schönheiten des Saarlandes zeigen.