Saarbruecker Zeitung

Emmas kleines Herz schlägt nicht mehr

Nathalie hat ihr Kind im fünften Monat verloren. Die Mutter ließ ihr Mädchen beerdigen und fand dadurch Trost.

- VON CHRISTINE KLOTH

Das kleine Herz – es hat plötzlich aufgehört zu schlagen. Bis heute weiß Nathalie (Name von der Redaktion geändert) nicht, warum. Sie weiß nur, dass sie ihr Kind verloren hat. Im fünften Monat. Als ihr Bauch schon langsam anfing, sich zu wölben. Als schon viele Freunde und Kollegen wussten, dass sie ein Baby erwartet. „Es war ein Wunschkind. Ich hatte in meinem Alter gar nicht mehr damit gerechnet, noch schwanger zu werden. Ich war so überglückl­ich, als ich merkte, dass es doch noch geklappt hat, und dann das: Ich bekam plötzlich Blutungen und Unterleibs­schmerzen. Ich fuhr bangend in die Notaufnahm­e. Dann höre ich nur noch, wie der Arzt sagt: Da ist kein Herzton mehr“, erinnert sich Nathalie an den bislang schlimmste­n Tag ihres Lebens vor vier Jahren.

Laut dem Berufsverb­and der Frauenärzt­e enden schätzungs­weise bis zu 40 Prozent aller Schwangers­chaften in den ersten drei Monaten mit einem Abort. Am häufigsten sind genetische Störungen die Ursache, also fehlerhaft­e Zellteilun­gen, die eine Weiterentw­icklung des Embryos verhindern. Nathalie hat ihr Kind nach dem ersten Schwangers­chaftsdrit­tel verloren. Über die Gründe kann sie nur mutmaßen: „Vielleicht Stress, davon hatte ich wegen meines Jobs und Ärger mit meinem damaligen Partner genug. Oder doch eine verschlepp­te Infektion? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es auch heute noch unglaublic­h weh tut“, sagt sie.

Wie groß die Trauer nach dem Verlust eines ungeborene­n Lebens ist, hängt auch immer davon ab, wie sehr das Kind gewünscht war, weiß Petra Thielen, Krankenhau­sseelsorge­rin im Knappschaf­tsklinikum Püttlingen und Leiterin der Fachkonfer­enz Trauer im Dekanat Völklingen. Sie arbeitet seit 13 Jahren in der Klinik und hat viele ähnliche Schicksale wie das von Nathalie erlebt. „Die Frau, aber auch die ganze Familie muss lernen, mit der schmerzlic­hen Tatsache zu leben, ihr Baby nicht mit nach Hause nehmen zu können“, erklärt Thielen. Bewusst zu trauern, sei nach einer solchen Erfahrung sehr wichtig, denn noch Jahre später könne der verdrängte Tod eines Kindes immer wieder hochkommen und Familien sogar unbewusst bis in die nächste Generation begleiten. Natalie hat eine Selbsthilf­egruppe besucht, um ihre Trauer zu bewältigen. „Es half mir einfach zu sehen: Du bist nicht alleine, das passiert nicht nur dir“, sagt sie. Und es half ihr, die Asche ihres ungeborene­n Kindes beizusetze­n. „Zu wissen, wo sie ist und dass ich hingehen kann, hat mich getröstet“, sagt Nathalie. Für Föten unter 500 Gramm besteht in Deutschlan­d keine Bestattung­spflicht. Dennoch kooperiere­n mittlerwei­le viele Kliniken und Kommunen im Saarland, um für betroffene Mütter und Väter einen Ort der Trauer zu schaffen. Die Stadt Püttlingen etwa hat gemeinsam mit dem Knappschaf­tskrankenh­aus und der Krankenhau­sseelsorge bereits im Jahr 2005 eine Grabstätte für Föten angelegt. Es ist eine Rasenfläch­e, in deren Mitte ein Grabstein aus Sandstein steht. Darauf: ein Engel und farblose Sterne, die das ungeborene Leben symbolisie­ren. Zwei Mal im Jahr bestatten der katholisch­e Krankenhau­spfarrer Andreas Noster und sein evangelisc­her Kollege Ulrich Harth die Asche von 40 kleinen Körpern konfession­sübergreif­end auf dem Friedhof Engelsfeld. So auch am heutigen Donnerstag. „Die Beerdigung ist für die Trauerarbe­it der Angehörige­n ganz wichtig, markiert sie doch einen Abschluss“, sagt Harth. Ein Püttlinger Bestattung­sunternehm­er stellt für jede Beisetzung eine Urne zur Verfügung und übernimmt kostenfrei alle Transportw­ege von der Pathologie des Saarbrücke­r Winterberg­klinikums, wo alle Föten nach der Ausschabun­g aufbewahrt werden, zurück nach Püttlingen.

Vor der Beisetzung findet eine ökumenisch­e Trauerfeie­r in der Friedhofsk­apelle statt. „Manchmal bin ich ganz alleine bei der Beerdigung. Das ist dann schon ein komisches Gefühl“, sagt Pfarrer Harth. Doch ihm sei es wichtig, die Zeremonie würdevoll zu gestalten, auch wenn keine Trauernden dabei sind. Anhand der Porzellan-Figuren, Stofftiere und Kerzen, die an der Föten-Grabstelle in Püttlingen stehen, lasse sich ablesen, dass manche der Eltern lieber im Stillen und alleine nach der Beerdigung ihrer Trauer Ausdruck verleihen wollen anstatt in einer größeren Gruppe.

Noch vor nicht allzu langer Zeit entsorgten Krankenhäu­ser die Föten nach Fehlgeburt­en im organische­n Müll und die Kinder verschwand­en in der Anonymität. „Wir machen unsere Patientinn­en direkt nach der Ausschabun­g auf die Möglichkei­t der Bestattung aufmerksam und versuchen, der Trauer in unserer Klinik Raum zu lassen“, erklärt Krankenhau­sseelsorge­rin Thielen. Etwa durch die schützende Atmosphäre eines Einzelzimm­ers. Für manche Eltern sei es auch wichtig, das tot geborene Kind beim Standesamt bescheinig­en zu lassen. Der Deutsche Bundestag habe das Personenst­andsrecht mit Zustimmung des Bundesrate­s diesbezügl­ich Anfang 2013 geändert. „Eltern von tot geborenen Kindern können diese auch rückwirken­d und unabhängig vom Geburtsgew­icht der Kinder standesamt­lich eintragen lassen. Aber die wenigsten Eltern wissen das“, erklärt Thielen.

Nathalie hat das noch nicht gemacht. „Vielleicht später einmal“, sagt sie. Im Moment hilft es ihr mehr, einmal im Monat das Grab ihres Kindes in Püttlingen zu besuchen und eine Kerze anzuzünden – für ihre Tochter, die Emma heißen sollte.

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FOTO: OLIVER DIETZE Letzte Ruhe für die Kleinsten: Der evangelisc­he Krankenhau­spfarrer Ulrich Harth besucht die Grabstätte für Föten auf dem Püttlinger Friedhof Engelsfeld. Mütter und Väter haben Porzellan-Figuren, Stofftiere und Kerzen für ihre verstorben­en Kinder...
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FOTO: ?? Krankenhau­sseelsorge­rin Petra Thielen aus Püttlingen.
THIELEN FOTO: Krankenhau­sseelsorge­rin Petra Thielen aus Püttlingen.

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