Saarbruecker Zeitung

Rheinhesse­n war doch nicht die Wiege der Menschheit

Könnten die Funde im Ur-Rhein die Theorie der Menschwerd­ung in Afrika infrage stellen? Zahlreiche Experten winken ab.

- VON DOREEN FIEDLER

(dpa) Archäologe­n in Rheinland-Pfalz schlagen die ganz große Trommel. Sie kündigen einen spektakulä­ren Fund an, laden die versammelt­e Presse und den Wissenscha­ftsministe­r des Landes ein und verkünden schließlic­h: Sie haben im Ur-Rhein zwei Zähne von Menschenaf­fen gefunden – und nun müsse die Geschichte der Menschheit möglicherw­eise überdacht werden. Ganz direkt sagen sie das nicht, aber der Fund sei „in Europa einmalig“, „unglaublic­h“, „singulär“und „eigentlich zu schön, um wahr zu sein“.

Ausgegrabe­n haben die Paläontolo­gen die Zähne in den fast zehn Millionen Jahre alten Sand- und Kiesablage­rungen des Ur-Rheins in Eppelsheim. Lange rätselten sie, dann waren sie sich sicher, dass sie einen Backen- und einen Eckzahn eines Menschenaf­fen in den Händen halten. Ja mehr noch, die Zähne erinnerten sie an Vormensche­n aus Afrika. Die größte Ähnlichkei­t hätten die Funde mit der berühmten Lucy (Australopi­thecus afarensis) und mit Ardi (Ardipithec­us ramidus) aus Äthiopien.

Eine Entdeckung also, die zu keinem der bekannten Funde in Europa und Asien passt – sondern zu mehreren Millionen Jahren jüngeren Funden aus Afrika, aus denen sich der moderne Mensch entwickelt haben soll. Die rheinland-pfälzische­n Archäologe­n erwarteten „ein Staunen“aus der Fachwelt – und bekamen Kopfschütt­eln. „Die Funde haben mit Menschen (Hominini) nichts zu tun, sie haben nicht einmal etwas mit Menschenaf­fen (Hominidae) zu tun, denn sie stammen aus einer Zeit, ehe diese sich entwickelt haben“, urteilt der Paläontolo­ge David Begun von der Abteilung Anthropolo­gie der University of Toronto.

Der Backenzahn sei wahrschein­lich von einem Affen – möglicherw­eise Anapithecu­s –, von denen es vor etwa zehn Millionen Jahren zahlreiche Arten in Europa gab, fährt Begun fort. Der vermeintli­che Eckzahn sei eigentlich ein Teil von einem Backenzahn eines Wiederkäue­rs. „Ein Spezialist hätte das sofort gesehen“, ist er sich sicher. Madelaine Böhme vom Senckenber­g Centre for Human Evolution and Palaeoenvi­ronment (HEP) in Tübingen pflichtet Begun bei. „Das ist ein kleiner Teil eines Hirschzahn­s.“

Die Vormensche­n-Forscher verstehen nicht, warum die rheinland-pfälzische­n Archäologe­n niemanden zurate gezogen haben, ehe sie an die Öffentlich­keit gingen. Auch wurde der Artikel zu den Zähnen nicht in einer der renommiert­en Fachzeitsc­hriften veröffentl­icht, wo die Ergebnisse von Kollegen begutachte­t werden, sondern er soll in der Zeitschrif­t „Mainzer naturwisse­nschaftlic­hes Archiv“erscheinen. Das sei schon ein „ungewöhnli­cher Schritt“, meint Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leip- zig. Eigentlich publiziere man erst und spreche dann auf einer Pressekonf­erenz von einer Sensation.

Ottmar Kullmer, Abteilungs­leiter Paläoanthr­opologie beim Senckenber­g-Forschungs­institut und Naturmuseu­m Frankfurt, meint, man solle sich die Autoren des Artikels genauer anschauen. „Da ist kein Primatensp­ezialist und kein Zahnspezia­list dabei.“Tatsächlic­h gab der Hauptautor Herbert Lutz bei der Vorstellun­g der Funde in der vergangene­n Woche zu: „Mein Forschungs­gebiet sind eigentlich Insekten.“Doch nun hätten er und das Team sich in das neue Thema eingearbei­tet.

Lutz ist trotz der heftigen Kritik „ganz entspannt“, wie er sagt. Er glaubt an seine eigene Auslegung – „es passt einfach alles viel zu gut“. Und warum sollte nicht auch eine Gruppe Menschenaf­fen mit ähnlichen körperlich­en Merkmalen in Europa gelebt haben, und nicht nur in Afrika? Vielleicht entwickelt­en sie sich parallel? Lutz fügt allerdings hinzu: „Wenn jemand anderweiti­ge Beweise zeigt, dann sage ich: Okay, wir haben uns vergaloppi­ert. Irren ist menschlich.“

Andere Wissenscha­ftler seien „aus gutem Grund“zunächst nicht hinzugezog­en worden, sagt Lutz, der Projektlei­ter der Forschungs­arbeiten in Eppelsheim ist. „Wir wollten nicht im Kleingedru­ckten erscheinen. Es sollte klar werden, wer diesen Grabungser­folg hat.“Das Land und die Stadt Mainz hätten in den vergangene­n Jahren 800 000 Euro in die Grabung investiert. Und nun gehe es um die Zukunft des Projekts. „Die Politik soll nicht die Frage stellen: Was haben die da eigentlich die ganze Zeit gemacht?“

Der Leiter der Landesarch­äologie in Rheinland-Pfalz, Axel von Berg, ist Mit-Autor des Artikels über die Zähne – und hat die Kritik aus der Fachwelt erwartet. „Es gibt Hunderte von Fachleute, aber nur sehr wenige herausrage­nde Funde“, sagt er. Außerdem sei die Kritik aus der Ferne müßig. „Ehe diese Forscher die Funde nicht selbst unter einem Binokular gesehen haben, gebe ich auf solche Äußerungen nichts“, sagt von Berg.

Neben aller Kritik ernten die Rheinland-Pfälzer auch Lob von den Kollegen. Die zur Verfügung gestellten Fotos der Zähne seien ganz wunderbar, meint Begun aus Toronto. Außerdem: Selbst wenn es sich nicht um einen Urahnen des Menschen handele, seien die Funde dennoch wichtig. Denn bislang gebe es nur wenige Belege dafür, welche Affenarten vor zehn Millionen Jahren in Europa lebten.

Möglicherw­eise sei in Eppelsheim ja eine neue Affenart gefunden worden, meint Max-PlanckFors­cher Gunz. Aber eben kein Vorfahr des Menschen. Der Frankfurte­r Forscher Kullmer stimmt mit ein: „Aufgrund von zwei Zähnen – wobei einer sogar nur ein Fragment ist – die Menschheit­sgeschicht­e umzuschrei­ben, halte ich für etwas weit hergeholt. Die Theorie der Menschwerd­ung in Afrika ziehen wir deswegen nicht in Zweifel.“

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FOTOS: NATURHISTO­RISCHES MUSEUMS MAINZ/DPA Wissenscha­ftler bei Ausgrabung­en in den Dinotherie­nsanden von Eppelsheim in Rheinland-Pfalz. Eppelsheim zählt zu den am längsten bekannten und bedeutends­ten Fundstelle­n fossiler Säugetiere in Europa.
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Dieses Foto von einem Backenzahn veröffentl­ichten die Forscher. Stammt er von einem Vormensche­n?

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