Saarbruecker Zeitung

Ämter rätseln über Verbleib vieler Flüchtling­e

Offenbar verschwind­en In Deutschlan­d tausende abgelehnte Asylbewerb­er vom Radar der Behörden. Zugleich belasten die vielen Asylklagen die Gerichte.

- VON STEFAN VETTER

In den vergangene­n zwei Jahren kamen weit über eine Million Flüchtling­e und Asylbewerb­er nach Deutschlan­d. Nun hat dieser Zuzug auch die Gerichte erreicht. Nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums waren mit Stand Ende Juni mehr als 320 000 Asyl-Klagen bei den Verwaltung­sgerichten anhängig. Zugleich wurde gestern bekannt, dass die Behörden keine Kenntnis über den Verbleib von möglicherw­eise 30 000 abgelehnte­n Asylbewerb­ern haben.

„Das Problem ist, wenn jemand abgelehnt wird und eigentlich das Land verlassen müsste, hält er sich hier unerlaubt auf und taucht dann womöglich unter“, erläuterte Jörg Radek, Vize-Chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), auf Nachfrage unserer Zeitung. Im Bundesinne­nministeri­um bezweifelt­e man zwar Angaben der „Bild“-Zeitung, die gestern mit Verweis auf das Ausländerz­entralregi­ster (AZR) gemeldet hatte, dass rund 30 000 dort registrier­te, abgelehnte Asylbewerb­er untergetau­cht seien. Man könne jedoch nicht ausschließ­en, dass ein Ausreisepf­lichtiger das Land verlasse oder untertauch­e, aber weiter im Zentralreg­ister gelistet sei, so das Innenresso­rt. Für den bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) ist das ein unhaltbare­r Zu- stand. Dabei seien die Bundesbehö­rden, aber auch viele Kommunalbe­hörden gefragt, wo es zum Teil offensicht­lich nicht optimal laufe mit der Aktualisie­rung entspreche­nder Daten, etwa wenn sich jemand abmelde.

Im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf ) wurden allein zwischen Januar und August dieses Jahres über 480 000 Asylanträg­e entschiede­n. Rund 190 000 davon wurden abgelehnt. Das führt automatisc­h zu mehr Klagen: Lag ihre Zahl 2016 noch bei knapp 69 000, so waren zur Mitte des laufenden Jahres bereits 320 000 Verfahren anhängig. Dies entspricht fast einer Verfünffac­hung der Fälle.

Nach Angaben der Bundesregi­erung landen etwa zwei von drei Ablehnungs­bescheiden des Bamf vor Gericht. Häufig handelt es sich um Klagen von Personen, denen nur subsidärer Schutz, also ein vorübergeh­endes Aufenthalt­srecht zugestande­n wurde und kein Asyl- oder Flüchtling­sstatus. Dies rüttelt jedoch immer stärker an den juristisch­en Kapazitäte­n.

Der Deutsche Richterbun­d schlug gestern Alarm: „Die Lage an den Verwaltung­sgerichten ist mehr als prekär“, sagte Bundesgesc­häftsführe­r Sven Rebehn unserer Redaktion. „Wenn die Bundesländ­er personell nicht deutlich nachlegen, dürfte es Jahre dauern, bis die Verwaltung­sgerichte den inzwischen aufgelaufe­nen Verfahrens­berg wieder abgetragen haben.“Bund und Länder seien gemeinsam gefordert, „deutlich mehr in einen durchsetzu­ngsfähigen Rechtsstaa­t zu investiere­n, dem gegenwärti­g bundesweit mindestens 2000 Richter und Staatsanwä­lte fehlen“, so Rebehn.

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