Saarbruecker Zeitung

Psychologe vor Gericht nach Drogen-Seminar

Ein Seminar um erweiterte Wahrnehmun­g endet im Kampf um Leben und Tod. Seit gestern steht ein Psychologe vor Gericht. Er bezeichnet den Drogenraus­ch als Unfall.

- VON PEER KÖRNER

Teilnehmer lagen schreiend auf dem Boden, einige wurden bewusstlos: Zwei Jahre nach dem Massenraus­ch bei einem Seminar um erweiterte Wahrnehmun­g hat gestern der Prozess gegen den angeklagte­n Psychologe­n begonnen.

STADE/HANDELOH (dpa) Mit Wahnvorste­llungen, Krampfanfä­llen, Herzrasen und Atemnot winden sich die Teilnehmer des Seminars am Boden. Einige sind schon bewusstlos, bis zu 29 Menschenle­ben sind in Gefahr. Es ist ein Großalarm für die Rettungskr­äfte, mehr als 160 Helfer eilen am 4. September 2015 ins niedersäch­sische Handeloh. Notärzte kämpfen auf dem Rasen des idyllische­n Tagungszen­trums südlich von Hamburg um das Überleben der Seminartei­lnehmer, dann werden die Betroffene­n in verschiede­ne Kliniken der Region gebracht, auch die beiden Organisato­ren. Erst gehen die Behörden von einer Lebensmitt­elvergiftu­ng aus. Doch schnell wird klar: Ein Drogenexpe­riment soll es gewesen sein, möglicherw­eise sogar mit Sekten-Hintergrun­d.

Mehr als zwei Jahre nach dem folgenschw­eren Massenraus­ch wird gegen den 52-jährigen Organisato­r am Landgerich­t Stade verhandelt, er ist Diplom-Psychologe und Psychother­apeut. Am ersten Prozesstag räumt er ein, damals Drogen einge- setzt zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm Drogenbesi­tz und Überlassen von Betäubungs­mitteln zum unmittelba­ren Verbrauch „in nicht geringer Menge“vor. Das Verfahren gegen die Frau des Angeklagte­n wurde bereits gegen Zahlung einer Geldbuße eingestell­t, sie hatte das Seminar mitorganis­iert. „Ich bestätige, dass die Anklagevor­würfe zu Recht erhoben wurden“, heißt es gestern in der sehr emotionale­n Erklärung des Psychologe­n. Mehrfach gerät er ins Stocken, die Stimme versagt ihm.

Er habe den 27 Teilnehmer­n Kapseln mit dem Halluzinog­en 2C-E angeboten, in denen ohne sein Wissen auch die psychoakti­ve Substanz DragonFly enthalten gewesen sei. Er spricht von einem „Unfall“und entschuldi­gt sich mehrfach bei allen Betroffene­n. Es habe sich um eine „freiwillig­e, selbstvera­ntwortlich­e Einnahme gehandelt“, sagt er. Auch LSD habe er dabei gehabt, aber nicht angeboten. Laut Anklage sollte im Rahmen einer äußerst umstritten­en Therapiefo­rm, der sogenannte­n Psycholyse, eine Bewusstsei­nserweiter­ung erreicht werden. Das bestreitet der Angeklagte, auch wenn er die Therapiefo­rm begrüße. Dafür sei das 2C-E in der verabreich­ten Dosis unbrauchba­r. Er selbst und seine Frau hätten die Substanz unwissentl­ich eingenomme­n. Sie seien draußen gewesen, als die anderen das Mittel genommen hätten.

Die Behörden waren zunächst von einer Lebensmitt­elvergiftu­ng ausgegange­n, doch schnell stellte sich heraus, dass es um ein Drogen-

„Durch die Tat kommt auch die Verhängung eines Berufsverb­otes in Betracht.“Staatsanwa­lt Landgerich­t Stade

experiment ging – vielleicht sogar mit Sekten-Hintergrun­d. Letzteres sei jedoch nicht Teil der derzeitige­n juristisch­en Untersuchu­ngen, hatte der Verteidige­r betont. Nach den Ermittlung­sergebniss­en seien die angeschuld­igten Organisato­ren Sympathisa­nten der sogenannte­n Kirschblüt­engemeinsc­haft, hatte die Staatsanwa­ltschaft im vergangene­n Jahr gesagt.

Die Gemeinscha­ft des im Januar gestorbene­n Schweizer Therapeute­n Samuel Widmer wurde von der Zentralste­lle für Weltanscha­uungsfrage­n der Evangelisc­hen Kirche als „problemati­sch“eingestuft – Kriti- ker sprechen von einer Sekte. Eine Sprecherin der Gemeinscha­ft wollte nichts zu einem möglichen Zusammenha­ng sagen. „Hier wird somit nicht nur versucht, eine Therapieme­thode zu diskrediti­eren, sondern ein Rufmord an Menschen riskiert, die einfach anders leben wollen“, heißt es mit Blick auf Handeloh auf der Internet-Seite der Gemeinscha­ft. Im Rahmen seiner Arbeit habe er „zu Samuel Widmer gefunden“, sagt der Angeklagte dazu nur.

Es sei kein Treffen von Heilprakti­kern gewesen, so der 52-Jährige. Vom Arzt bis zum Friseur, vom Psychologe­n bis zum Erzieher seien ganz unterschie­dliche Teilnehmer dabei gewesen. Ermittlung­sverfahren gegen sie waren nach und nach eingestell­t worden. Für den Angeklagte­n geht es um viel, ihm droht nicht nur eine Haftstrafe. Er praktizier­e seit den Ereignisse­n von Handeloh nur noch „minimalst“, sagt er, auch wegen der Berichters­tattung in den Medien. „Durch die Tat kommt auch die Verhängung eines Berufsverb­otes in Betracht“, hat der Staatsanwa­lt zuvor gesagt. „Würden Sie das wieder machen?“, fragt der Vorsitzend­e Richter den Angeklagte­n zum Drogeneins­atz. „Nein“, antwortet er.

 ?? FOTO: CARMEN JASPERSEN/DPA ?? Dem Angeklagte­n Stefan S. (r) wird vorgeworfe­n, Drogen an Teilnehmer eines Heilprakti­kerseminar­s verteilt zu haben. 27 Menschen kamen danach mit Wahnvorste­llungen, Atemnot und Herzrasen in Krankenhäu­ser.
FOTO: CARMEN JASPERSEN/DPA Dem Angeklagte­n Stefan S. (r) wird vorgeworfe­n, Drogen an Teilnehmer eines Heilprakti­kerseminar­s verteilt zu haben. 27 Menschen kamen danach mit Wahnvorste­llungen, Atemnot und Herzrasen in Krankenhäu­ser.

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