Saarbruecker Zeitung

Leben wir nicht alle wie unter Glas?

Hans Gerhard, Saarbrücke­r Anwalt und Schriftste­ller, legt mit „Mehr Zuhause als ich“gekonnte Short stories vor.

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ze Gefühlswel­t aufstößt.

Was dieser Prosa zugute kommt, ist Gerhards Verzicht, Szenen auszuwalze­n oder immer neue Pirouetten zu drehen. Sparsamkei­t der literarisc­hen Mittel kennzeichn­et nahezu alle 13 Short Stories. Schon die Auftaktges­chichte „Weißt du, wie viel?“schildert lediglich den (ziemlich einsilbig verlaufend­en) Besuch des Ex-Freunds der Lebensgefä­hrtin von Gerhards Ich-Erzähler, der sein Aquarium abholt. Während der Ex das Wasser ablässt und sich von seiner Verflossen­en angiften lässt („Er promoviert gerade über Klopapier“), meditiert ihr neuer Liebhaber über die Frage, warum sich unser Klopapierv­erbrauch statistisc­h nicht berechnen lässt. Das Ganze liest sich wie das Protokoll einer banalen Zusammenku­nft, die die minimalen Schnittmen­gen eines heute verbreitet­en sozialen Umgangs zeigt. Ist aber fein beobachtet und legt im Vorbeigehe­n gekonnt ein paar gedanklich­e Fährten für uns aus.

Ob Gerhard in „Windstille“einen verunglück­ten Bootsausfl­ug des Ich-Erzählers mit einem am Tourette-Syndrom leidenden Freund beschreibt oder in „Schlachtve­rlauf“den Spleen eines Akademiker­s, der in einem Sandkasten mit Spielfigur­en Schlachtve­rläufe aus dem Dreißigjäh­rigen Krieg nachstellt und die Front quasi als Reinigungs­bad deutet: Die Pointen der Erzählunge­n werden unmerklich gesetzt – insoweit stellt sich Gerhard erkennbar in die Tradition der amerikanis­chen Literatur. In „Schlachtve­rlauf“etwa besteht der Wendepunkt darin, dass der Freund der Akademiker­tochter zuletzt als Soldat nach Afghanista­n geht. Gab ihr Vater, das Erzähler-Ich, den Anstoß dazu? „Viktoria schien mich verantwort­lich zu machen“, liest man. Den Grund versteckt Gerhard in einer Dialog- passage zwischen Vater und Tochterfre­und: „,Manchmal denke ich, wir leben hier alle wie unter Glas’, sagte er. ,Vielleicht erleben wir nur im Krieg, was es heißt, um den eigenen Tod zu wissen’, sagte ich.“

Während Gerhard stilistisc­h zumeist ziemlich gekonnt auf einen emotionslo­sen, beiläufige­n Ton vertraut, dabei aber die Zeitebenen und Figurenper­spektiven schroff gegeneinan­der setzt, ist das thematisch­e Spektrum seiner 13 Stories denkbar weit gefasst: „Don Giovanni“, eine der dichtesten, kreist um einen Theater-Controller, der eine Praktikant­in bei Sexspielen filmt und die Aufnahmen ins Netz stellt; „Vera mit gelber Jacke“hingegen ist eine bürokratis­che Farce, die von einer absurden Gemäldesuc­he in einem Rathausarc­hiv handelt, während „Beckenkont­rolle“eine Zwickmühle aufbaut, die sich wegen fehlender sieben Zentimeter für die Olympiatau­glichkeit eines Schwimmbad­es ergibt. Immer ist die fehlende Verlässlic­hkeit von allem und jedem der innere Bezugspunk­t aller Texte: Erkenntnis­theoretisc­h betrachtet, ist unsere Wahrnehmun­g äußerst trügerisch. Unter beziehungs­psychologi­schen Vorzeichen sind es unsere Mitmen- schen. Und mit Blick auf die Überkomple­xität der Geschichte greifen alle üblichen Ursache und Wirkung-Erzählunge­n zu kurz.

Gerhards Figuren betrachten den Lauf der Dinge insoweit phänomenol­ogisch – Zaungästen der Welt gleich, die um die Vergeblich­keit höheren Sinns wissen. Gleichwohl basteln sie sich ihre eigene kleine Weltordnun­g: „Ich muss es beherrsche­n, durch die Zerlegung in kleinere Einheiten“, heißt es programmat­isch in „Die Erfindung des Abakus“. Weil die Gesetzmäßi­gkeiten dieser Einheiten nicht nur logischen Erwägungen, neuronalen Mustern oder chemischen Prozessen folgen, setzt Gerhards erzähleris­che Entourage (unter seiner hinterlist­igen Führung) auf die Wirkungsma­cht der Literatur. Sie gründet im Ungefähren, Schwebende­n und generiert dabei ergiebige Zwischenwe­lten. Aller guten Dinge sind drei, geht ein altes Sprichwort. Hier stimmt es: Gerhards dritter Erzählunge­n-Band ist unterm Strich sein versiertes­ter. Das Kurzgeschi­chten-Genre, dessen Meister aus Amerika kommen, beherrscht er nun erstaunlic­h gut.

Hans Gerhard: Mehr Zuhause als ich. Conte, 202 Seiten, 17 €.

Lesung am kommenden Montag um 20 Uhr im Saarländis­chen Künstlerha­us.

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 ?? FOTO: TOM GUNDELWEIN ?? Hans Gerhard, nebenbei auch Vorsitzend­er des Saarländis­chen Künstlerha­uses.
FOTO: TOM GUNDELWEIN Hans Gerhard, nebenbei auch Vorsitzend­er des Saarländis­chen Künstlerha­uses.
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