Saarbruecker Zeitung

„Die Leute müssen sich eingebunde­n fühlen“

Der Sprachwiss­enschaftle­r Philipp Krämer fordert eine nachhaltig­e Begutachtu­ng der Frankreich-Strategie im Saarland.

- DIE FRAGEN STELLTE DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N Philipp Krämer arbeitet an der Freien Universitä­t Berlin am Interdiszi­plinären Zentrum Europäisch­e Sprachen. Der Sprachwiss­enschaftle­r hat sich in der Vergangenh­eit vor allem mit kreolische­n Sprachen in französisc­hen Überseegeb­ieten beschäftig­t, bevor er sich in jüngster Zeit der Frankreich-Strategie des Saarlandes zuwandte. Er hatte in einer Online-Umfrage herausgefu­nden, dass zwar 61,6 Prozent der Saarländer die Frankreich-Strategie „gut“oder „eher gut“finden, aber weit über 70 Prozent der Ansicht sind, dass die Bürger zu wenig an der Umsetzung beteiligt werden. Gestern Abend traf sich Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der Saarland-Vertretung in Berlin mit Krämer, um die Ergebnisse der Umfrage zu analysiere­n. Wir sprachen vorher mit dem Sprachwiss­enschaftle­r über die Zukunft der Frankreich-Strategie, die zum Ziel hat, dass 2043 jeder Saarländer Französisc­h spricht.

Herr Krämer, was ist das Ziel der Unterredun­g?

KRÄMER Die Landesregi­erung kann Fragen stellen, welche Konsequenz­en man aus den Studienerg­ebnissen ziehen kann. Es geht darum, Ratschläge zu geben. Für mich ist es interessan­t, welche Schritte die Landesregi­erung nun in der Frankreich-Strategie unternimmt.

Wie werden die Saarländer über die Frankreich-Strategie informiert? Gibt es da Defizite?

KRÄMER Ja, es sollte um eine Verbesseru­ng der Kommunikat­ion gehen. Das zeigen ja die Studienerg­ebnisse, dass sich viele Leute im Saarland nicht ausreichen­d informiert gefühlt haben. Oder zumindest nicht das Gefühl haben, dass die Frankreich-Strategie für sie selbst relevant ist. Das ist einer der Punkte, an denen die Landesregi­erung auf jeden Fall noch ansetzen muss, um das zu verbessern: dass sich die Leute eingebunde­n fühlen, dass sie das Gefühl haben, sie können selbst etwas tun. Zudem muss genauer diskutiert werden, wie das Verhältnis zwischen Französisc­h und Englisch sein soll. Da gibt es die Befürchtun­g bei vielen, dass die Förderung des Französisc­hen zu Lasten des Englischen gehen könnte...

Vor allem an den Schulen...

KRÄMER Genau. An den Schulen und in den Gesamtkenn­tnissen. Da hat sich aber in meinen Studienerg­ebnissen herausgest­ellt, dass die Befürchtun­g unbegründe­t ist. Die Leute trauen sich bessere Englischal­s Französisc­hkenntniss­e zu. Und die Leute benutzen die Sprachen in ganz unterschie­dlichen Kommunikat­ionsbereic­hen. Es wäre Aufgabe der Landesregi­erung, das deutlicher zu machen. Man muss den Leuten klar machen: Natürlich fördern wir das Französisc­he, aber so, dass es nicht auf Kosten des Englischen geht. Das ist bisher ein bisschen untergegan­gen in der öffentlich­en Diskussion.

Wie tief soll die Frankreich-Strategie reichen? Soll jede Kassiereri­n im Saarland an den Supermarkt­kassen Französisc­h sprechen wegen der vielen Einkäufer aus Lothringen?

KRÄMER Das ist auch so ein Punkt. Welche Art von Mehrsprach­igkeit wird da eigentlich erwartet? Es ist die Frage einer Generation. Aber es ist nicht klar, was bis dahin eigentlich erreicht sein soll. Das geht auch nicht so konkret, da es auf die Einzelpers­on ankommt. Jeder muss für sich das Niveau im Französisc­hen erreichen können, das er braucht. Natürlich ist das bei einer Kassiereri­n, die Kundschaft aus Frankreich hat, ganz anders als bei einer Managerin, die jeden Tag Geschäftsb­eziehungen nach Frankreich führt. Das müsste die Landesregi­erung tatsächlic­h deutlich machen, dass sie nicht sagt: Wir erwarten von jedem Einzelnen, in 20 Jahren Niveau B 2 zu haben. Das wäre auch eine unverschäm­te Forderung gegenüber den Bürgern. Sondern man muss sagen, dass alle die Möglichkei­t haben, das Französisc­h zu erlernen, das sie brauchen, wenn sie es noch nicht haben. Darum soll es gehen.

Wie sieht umgekehrt die Lage in Lothringen aus? Dort ist von einer Deutschlan­d-Strategie nichts zu hören. Im Gegenteil: Immer weniger Lothringer sprechen Deutsch.

KRÄMER Es gibt in den grenznahen Gebieten Initiative­n, das Deutsch an den Schulen wieder zu stärken. Aber Deutsch ist eine Fremdsprac­he für die Schüler dort, genauso wie das Französisc­he eine Fremdsprac­he im Saarland ist. Das Ziel soll ja sein, dass sich dieser Fremdsprac­hen-Charakter reduziert. Aber ich glaube, dass es in Lothringen und dem Elsass ein Bewusstsei­n dafür gibt. Das wird nicht einfacher durch die neuen politische­n Strukturen mit der Region Grand Est. Aber ich glaube nicht, dass das Saarland da alleine steht. Die Politik in Frankreich beobachtet das ja auch. Sie wird darauf achten, dass der Wettbewerb­svorteil der jungen Leute im Saarland nicht zu groß wird gegenüber den jungen Leuten in Frankreich.

Wie wird das Projekt Frankreich-Strategie weiter wissenscha­ftlich begleitet?

KRÄMER Zur Zeit wird die begleitend­e Forschung im Rahmen des Tagesgesch­äfts mit erledigt, vor allem natürlich von den Kolleginne­n und Kollegen an der Saar-Uni. Aber die Kapazitäte­n reichen eigentlich nicht aus. Die Landesregi­erung müsste hier die Ressourcen bereitstel­len, die gebraucht werden, um die Frankreich-Strategie langfristi­g und intensiv wissenscha­ftlich zu begleiten.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bis zum Jahr 2043 soll jeder Saarländer Französisc­h sprechen – das ist das ambitionie­rte Ziel hinter der Frankreich-Strategie, die die saarländis­che Landesregi­erung ins Leben gerufen hat.
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FOTO: ?? Philipp Krämer, Sprachwiss­enschaftle­r an der FU Berlin
KRÄMER FOTO: Philipp Krämer, Sprachwiss­enschaftle­r an der FU Berlin

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