Ein Toter, viele Verdächtige
Neu im Kino: „Mord im Orient-Express“von Kenneth Branagh – Gelungenes Remake des Krimi-Klassikers von 1974
„Ah, Mr. Poirot, wie ich annehmen darf?“. Der Mann mit dem präzise gezwirbelten Schnäuzer und der perfekt gebundenen Krawatte ist ein bekannter Mann und er ist sich dieser Tatsache bewusst; so sehr, dass er eine Auszeit beschlossen hat. Wenn jeder auf der Straße von Christiano Ronaldo ein Kunststück mit dem Ball erbittet, dann verliert auch ein solcher Kicker die Hingabe zum Ballsport.
Genauso ergeht es gerade Hercule (nicht: Hercules!) Poirot, der nach einer Fingerübung in Jerusalem nun dem ersehnten Urlaub in Stambul entgegensah und nun doch im Orient Express sitzt, weil Englands Regierung ihn in einer höchst dringlichen Lage in London erwartet. Aber nicht einmal im Zug findet Poirot Ruhe. Jeder kennt ihn und scheint geradezu eine Bluttat zu ersehen, die der berühmte Detektiv aus Belgien sodann aufklären könnte. Dann wird der Zug wegen eines Lawinenabgangs auf freier Strecke aus den Gleisen gehoben, und in der gleichen Nacht gibt es einen Toten, ermordet, weil übersät mit Messerwunden.
Agatha Christie war die Meisterin des deduktiv aufgezäumten Krimis. Erst das Verbrechen, dann die ermittelnde Person (Poirot oder Marple) in Aktion und zuletzt ein Monolog, in dem das Verbrechen aufgeklärt und zugleich höchst präzise erklärt wird. Je knapper der Spielraum dafür gefasst ist, desto dichter brodelt die Atmosphäre. Ein Zug in exotischer Kulisse grenzt bei dieser Taktik hart ans Optimum, stellt aber eine ernste Herausforderung an die Filmemacher, sobald der Zug nicht mehr in Bewegung ist.
Denn nun wird die Kulisse zum Kammerspiel, das war so in der berühmten „Mord im OE“-Verfilmung von 1974 so und es ist nun nicht anders. Kenneth Branagh inszeniert sich und ein halbes Dutzend Stars mit viel Kostümpomp und theaterdonnernden Gesichtern und kann sich auf ein Publikum verlassen, das 2017 weder das Buch noch frühere Verfilmungen kennt. Johnny Depp hat einen kurzen, schönen Auftritt im ClarkGable-Modus, Michelle Pfeiffer ist endgültig zur Nachfolgerin von Lauren Bacall geworden und dürfte ihrem ersten Oscar entgegensehen. Es gibt schöne Szenen und ziemlich überflüssige Mätzchen. Eben typisch Agatha Christie.
USA 2017; Regie: Kenneth Branagh; 114 Min.; Darsteller: Kenneth Branagh, Tom Bateman, Michelle Pfeiffer, Josh Gad, Johnny Depp, Judi Dench, Daisy Ridley.