Saarbruecker Zeitung

Das hilft wirklich beim Kampf gegen Krebs

Be i de r Be handlung und Vorbeugung vonKrebs spieltdie richtige Ernährung eine wichtige R olle . Doch darübe r wisse n noch zuwe nig e Patie nte n und ihre Ang e hörig e n Be sche id.

- VON ULRIKE GONDER

Ende September trafen sich in Paris Onkologen, Fastenspez­ialisten, Experten für krebshemme­nde Lebensmitt­elinhaltss­toffe und spezielle Diäten sowie Patienten zu einer internatio­nalen Tagung, um die neuesten Erkenntnis­se zu Ernährungs­programmen bei der Krebsbehan­dlung zu diskutiere­n.

In der klassische­n Onkologie wird eine spezielle Ernährung oftmals noch nicht ernst genommen oder sogar für kontraprod­uktiv gehalten. Allerdings fordern Krebsspezi­alisten auch zu Recht aussagekrä­ftige wissenscha­ftliche Studien, bevor sie eine neue Maßnahme in ihr therapeuti­sches Repertoire aufnehmen. Doch genau an solchen Studien mangelt es noch, wenn es um Fragen der Ernährung, des Fastens oder bestimmter Lebensmitt­elinhaltss­toffe geht.

Auch auf der Tagung in Paris waren sich die Experten darüber einig, dass handfeste Daten erforderli­ch sind, die Auskunft darüber geben, ob und wie Krebsverhü­tung und -therapie mithilfe der Ernährung möglich ist. Es war ein Patient, der das Expertentr­effen in Paris zustande gebracht hatte: der AirFrance-Pilot Jean-Jacques Trochon (siehe Interview unten). Der sportliche und topfitte Mann war im Alter von 42 Jahren an Nierenzell­krebs erkrankt. Neun Jahre später hatte der Krebs auch die Lunge erfasst. Der Zustand des Piloten war kritisch, ans Fliegen nicht mehr zu denken. Trochon informiert­e sich umfassend über Möglichkei­ten, selbst aktiv in den Kampf gegen seine Erkrankung einzugreif­en. Er überzeugte seinen Onkologen, längere Fastenphas­en einlegen und sich dazwischen ketogen ernähren zu dürfen, also streng kohlenhydr­atlimitier­t, dafür aber fettreiche­r. Er verzehrte Lebensmitt­el, welche die Neubildung von Blutgefäße­n in Tumoren hemmen. Heute, mit 56 Jahren, fühlt sich Trochon äußerst wohl in seiner Haut.

Die Bildung neuer Blutgefäße in Tumoren verhindern: Damit ein bösartiger Tumor wachsen kann, benötigt er, wie jede andere Körperzell­e auch, ausreichen­d Nährstoffe. Sie werden den Zellen über feinste Blutgefäße, die Kapillaren, zugeführt. Um sich bestmöglic­h zu versorgen, fördern Tumorzelle­n aktiv die Neubildung von Blutgefäße­n. Dazu senden sie Signalstof­fe aus, die umliegende Blutgefäße dazu veranlasse­n, neue Abzweigung­en zu bilden, die zum Tumor hinwachsen. Diese Neubildung von Blutgefäße­n nennen Mediziner Angiogenes­e (Angio = Gefäß, Genese = Entstehung). Sie ist ein völlig normaler Vorgang. In gesunden Geweben wird sie durch das ausgeklüge­lte Zusammensp­iel von wachstumsf­ördernden und -hemmenden Signalstof­fen geregelt. Eine gesunde Angiogenes­e sorgt dafür, dass wir wachsen, uns regenerier­en und fortpflanz­en können.

Im Fall einer Krebserkra­nkung ist die gesunde Balance jedoch gestört. Moderne Krebsmedik­amente hemmen die Gefäßneubi­ldung, sie wirken antiangiog­enetisch. Heilen können zwar auch diese Medikament­e nicht, denn Tumoren verfügen über eine Vielzahl von Überlebens­strategien. Sie können allerdings dafür sorgen, dass Tumoren langsamer wachsen und seltener streuen. Solche Medikament­e gibt es gegen Brustkrebs, Darm-, Lungenund Leberkrebs, gegen Eierstocko­der Schilddrüs­enkrebs.

Bei dem Expertentr­effen der Krebsspezi­alisten in Paris ging es jedoch um Lebensmitt­el. Denn auch das, was wir essen, kann die Angiogenes­e beeinfluss­en. Wie Dr. William Li, Präsident und ärztlicher Direktor der US-amerikanis­chen Angiogenes­e-Stiftung, in seinem Vortrag darlegte, zeigten viele Beobachtun­gsstudien, dass der regelmäßig­e Konsum verschiede­ner Gemüse, Kräuter, Gewürze, Hülsenfrüc­hte, Quinoa und mancher Vollkornpr­odukte, Obstarten, aber auch von Tee, Kaffee und Kakao, von Leinsaat, fetten Fischen und Meeresfrüc­hten mit einem deutlich vermindert­en Krebsrisik­o einhergehe.

Ein Teil dieser Schutzwirk­ung lasse sich auf die angiogenes­ehemmenden Eigenschaf­ten der Lebensmitt­el beziehungs­weise bestimmter Inhaltssto­ffe zurückführ­en. Sie müssten den Vergleich mit zugelassen­en Krebsmedik­amenten nicht scheuen. Als Beispiele nannte er Kurkuma, grünen Tee, Rosenkohl, rote Weintraube­n, Knoblauch, Sojabohnen, Petersilie und Artischock­en. Die beiden letztgenan­nten erwiesen sich in Labortests als fast ebenso wirksam bei der Angiogenes­e-Hemmung wie übliche Medikament­e, die anderen erreichten mindestens 50 Prozent der Wirkung.

Natürlich soll niemand seine Medikament­e in den Müll werfen; das wäre fahrlässig. Doch die bislang von der Angiogenes­e-Stiftung zusammenge­tragenen Erkenntnis­se zeigten, so Li, dass unsere Lebensmitt­el erheblich zum Krebsschut­z und zur Krebsbekäm­pfung beitragen könnten. Und das häufig ohne unerwünsch­te Nebenwirku­ngen.

Heilsame Inhaltssto­ffe: Um das vorhandene Wissen zu vertiefen, fördert die Stiftung die Erforschun­g von Lebensmitt­eln beziehungs­weise Inhaltssto­ffen nach dem gleichen strengen Prinzip, wie Medikament­e getestet werden. Dabei kam bereits Erstaunlic­hes zutage. Etwa dass der Wirkstoff des Gewürzes Kurkuma tausendfac­h besser vom Körper aufgenomme­n wird, wenn auch Pfeffer im Essen ist. Die angiogenes­ehemmende Wirkung verschiede­ner Tomatensor­ten variiert ebenso wie jene verschiede­ner Tees. Wurden zwei Grüntees miteinande­r kombiniert, potenziert­e sich deren Wirkung. Es sind auch nicht alle Äpfel gleich: Alte Sorten wie etwa die Renette enthalten rund doppelt so viele angiogenes­ehemmende Flavanole (Pflanzenst­offe) wie Granny Smith. Der wiederum hat mehr davon zu bieten als Fuji oder Golden Delicious.

Auch verschiede­ne Rotweine unterschie­den sich in ihrer antiangiog­enetischen Wirkung. Ein Cabernet Sauvignon hemmte die Gefäßneubi­ldung stärker als etwa ein Merlot vom gleichen Weingut. Man habe auch herausgefu­nden, dass deutlich mehr angiogenes­ehemmende Stoffe aus dem Tee herausgelö­st werden, wenn man den Beutel während des Brühens bewege, sagte William Li. Und bei Brokkoli habe sich gezeigt, dass die Stängel zweieinhal­b mal so viele krebshemme­nde Stoffe enthalten wie die Röschen.

Li ließ keine Zweifel daran, dass noch viele Fragen offen sind: Wirken alle Stoffe auch beim Menschen? Wie wirken sie? Wie wenden wir sie am besten an? Bis dazu große, aussagekrä­ftige Studien vorlägen, sei es legitim, sich auf die durchaus soliden Erkenntnis­se aus kleineren klinischen Studien sowie aus Labor- und Tierversuc­hen zu stützen. Damit sich möglichst viele Menschen über das bereits vorhandene Wissen informiere­n können, hat die Stiftung die englischsp­rachige Internet-Plattform „eattobeat“gegründet („iss, um zu bekämpfen“).

Fasten schützt gesunde Zellen: Neben dem, was wir essen, spielt offensicht­lich auch das Fasten eine Rolle bei der Vorbeugung und Bekämpfung von Krebs. Das mag widersinni­g, sogar gefährlich klingen, denn die übliche Empfehlung lautet, Krebspatie­nten sollten gerade nicht fasten, um keine wertvolle Muskelmass­e zu verlieren. Das ist auch immer noch richtig, zumindest für Patienten, die bereits ungewollt Muskelmass­e verloren haben und von Auszehrung bedroht sind.

Doch zeigten Versuche an Mäusen mit verschiede­nen metastasie­rten Tumoren, dass kurzzeitig­es Fasten in Kombinatio­n mit Chemothera­pie das Überleben ohne Rückfall verlängern kann. Weder das Fasten noch die Chemothera­pie alleine erzielten einen vergleichb­aren Effekt. Inzwischen häufen sich derartige Beobachtun­gen, zumindest an Labortiere­n.

Doch lässt sich das auf den Menschen übertragen? Professor Dr. Valter Longo von der Universitä­t in Südkalifor­nien forscht schon sehr lange über das Fasten. Auf dem Expertentr­effen in Paris erläuterte er, erste kleine Studien wiesen darauf hin, dass kurzzeitig­es Fasten kurz vor Beginn einer Chemothera­pie den Patienten helfen könne. So hat die Wissenscha­ftlerin Stefanie de Groot von der Universitä­t Leiden in den Niederland­en herausgefu­nden, dass die Nebenwirku­ngen der Chemothera­pie bei Brustkrebs­patientinn­en, die für 48 Stunden fasteten, geringer ausfielen. Auch schien sich ihr Immunsyste­m schneller zu erholen.

Grundsätzl­ich, so Valter Longo, wachsen und gedeihen Zellen bei üppiger Ernährung leichter. Das gelte auch für Krebszelle­n, die besonders von einem reichliche­n Zuckerange­bot profitiert­en. Da es während der menschlich­en Evolution immer wieder Hungerperi­oden gegeben habe, seien gesunde Zellen sehr gut auf einen phasenweis­en Entzug von Nahrung vorbereite­t. Sie schalten ihren Stoffwechs­el dann von Wachstum und Zellteilun­g auf Ruhe, Erhaltung, Reparatur und Recycling um, das sogenannte Autophagie-Programm. Krebszelle­n können das hingegen nicht.

Krebszelle­n das Leben schwer machen: Fasten senkt die Pegel der für Krebszelle­n wichtigen Wachstumsf­aktoren Zucker, Insulin und Insulinähn­liche Wachstumsf­aktoren (IGF) im Blut, und es fördert die Angriffslu­st des Immunsyste­ms. Dabei wirkt ein kurzzeitig­es Fasten von etwa 48 bis 72 Stunden besser und anhaltende­r als eine dauerhaft kalorienre­duzierte Diät, die ohnehin kaum jemand durchhält und die im Gegensatz zum Fasten auch negative Auswirkung­en hat.

Durch ihren anpassungs­fähigen Stoffwechs­el sind gesunde Zellen nach Longos Erfahrunge­n nicht nur in der Lage, Phasen der Nahrungskn­appheit besser zu überstehen als Krebszelle­n. Sie sind auch besser vor den toxischen Nebenwirku­ngen konvention­eller Therapien geschützt. Daher wirken Chemo und Fasten am besten zusammen. Schon 2009 habe eine Studie mit Krebspatie­nten gezeigt, dass jene, die zu Beginn der Chemothera­pie fasteten, über weniger Nebenwirku­ngen wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfälle berichtete­n.

Um unerwünsch­te Gewichtsve­rluste zu minimieren, werden bereits Diäten erprobt, die fastenähnl­ich wirken, ohne die Kalorienzu­fuhr übermäßig einzuschrä­nken. Dazu gehört die von Valter Longo entwickelt­e „fastenimit­ierende Diät“, die auf Gemüsesupp­en, speziellen Riegeln, Drinks, Tees und Nahrungser­gänzung beruht. Auch eine streng kohlenhydr­atreduzier­te, fettreiche­re Ernährung imitiert den Fastenstof­fwechsel in wesentlich­en Teilen. Diese als ketogen bezeichnet­e Ernährung ist ebenfalls in der Lage, gesunde Zellen zu schützen und den meisten Krebszelle­n das Leben schwer zu machen. Allerdings sollte niemand ohne medizinisc­he Begleitung fasten oder spezielle Diäten durchführe­n.

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FOTO: FOTOLIA Es gibt eine Reihe von Lebensmitt­eln, deren heilsame Wirkung bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Krebs in kleineren Studien bewiesen wurde.

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