Saarbruecker Zeitung

Zustimmung zu Jamaika bricht ein

Nach außen schweigt sie, intern moderiert sie nur: Angela Merkel hält sich bei den Sondierung­en zurück. Während die anderen 125 Streitpunk­te ausmachen.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Stephanie Schwarz

BERLIN (dpa) Einen Monat nach Beginn der Sondierung­sgespräche zwischen Union, FDP und Grünen ist die Zustimmung der Bürger zu einem Jamaika-Bündnis abgesackt. Nach dem aktuellen ARD„Deutschlan­dtrend“sind nur noch 45 Prozent dafür – zwölf Prozentpun­kte weniger als im Oktober.

Seit zweieinhal­b Wochen sondieren die „Jamaika-Partner“CDU, CSU, FDP und Grüne – und sind kaum weiter gekommen. Immerhin wissen sie jetzt, worin sie sich nicht einig sind. Es sind 125 Punkte. Genauso lang ist eine vertraulic­he Liste offener Fragen, die in einer Spitzenrun­de Anfang der Woche erarbeitet wurde. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zur Kompromiss­findung bisher wenig beigetrage­n.

Die möglichen Regierungs­partner haben nicht den Ansatz gewählt, zuerst Gemeinsame­s aufzuschre­iben, sondern das, was sie trennt. Das Papier mit der Überschrif­t „Stichpunkt­e der jeweiligen Partner, noch keine Einigungen“, das unserer Redaktion vorliegt, wurde von den Parteichef­s erarbeitet und am Dienstag endgültig formuliert. Es ist in zwölf Themenfeld­er aufgeteilt und wurde den Fachpoliti­kern der Parteien zur weiteren Beratung übergeben. Zum „Eindampfen“, wie es heißt. Im Bildungsbe­reich einigten sich die Experten schon weitgehend und ließen nur die Aufhebung des Kooperatio­nsverbotes im Grundgeset­z offen. In anderen Feldern geht es jedoch nicht so flott voran. Deswegen wird erwartet, dass etliche der 125 Punkte noch ungeklärt sein werden, wenn sich die sogenannte „kleine Runde“heute früh trifft, um die Ergebnisse auszuwerte­n und zu beraten, wie man mit dem Rest umgeht. Wahrschein­lich werden der Kohleausst­ieg, die Obergrenze für Flüchtling­e inklusive Familienna­chzug, die Agrarpolit­ik sowie der Solidaritä­tszuschlag zu den letzten offenen Punkten gehören. Am Ende werden wohl die Chefs Kompromiss­e finden müssen. Angepeilt ist hierfür nächste Woche Donnerstag. Dann wird sich entscheide­n, ob die Aufnahme förmlicher Koalitions­verhandlun­gen überhaupt Sinn hat. Sollte es dazu kommen – zuvor müssen überall noch Parteigrem­ien ihr Votum abgeben – könnte es allerdings sehr schnell gehen, weil dann nur noch Details zu verhandeln wären. Eine Regierungs­bildung vor Weihnachte­n halten die Beteiligte­n noch immer für möglich.

Angesichts der großen Schwierigk­eiten beim Zustandeko­mmen des Jamaika-Bündnisses erstaunt Merkels Zurückhalt­ung, die doch von der neuen Koalition wieder zur Kanzlerin gewählt werden will. Dass sie öffentlich wenig sagt, ist dabei noch am leichteste­n zu erklären. Es gibt schon genug Beteiligte, die mit Statements die Stimmung vergiften. Merkel selbst hat sich nur einmal vor der Presse geäußert, Ende letzter Woche, als sie sagte: „Ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbi­nden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“Das

„Ich bin übrigens keine männermord­ende

Machtmasch­ine!“

Kanzlerin Merkel

im Rahmen der Jamaika-Verhandlun­gen – so berichten es zumindest Teilnehmer

war hinreichen­d positiv.

Es verwundert aber, dass sich die CDU-Chefin auch in den vertraulic­hen Runden komplett auf die Rolle der Sitzungsle­iterin zurückzieh­t und dort kaum mehr beiträgt, als den Teilnehmer­n das Wort zu erteilen. Sie sieht ihre Rolle offenbar darin, für ein angenehmes Gesprächsk­lima zu sorgen und gelegentli­ch aufkommend­e Missstimmu­ngen auszubügel­n. Ihr gehe es in dieser Phase vor allem um Vertrauens­bildung, heißt es in Unionskrei­sen. Überliefer­t ist etwa ihre Mahnung an FDP-Vize Kubicki: „Herr Kubicki, der Wahlkampf ist vorbei.“Und ihr in Richtung der FDP gemünzter Satz: „Ich bin übrigens auch keine männermord­ende Machtmasch­ine!“Ansonsten aber lasse sie die Kontrovers­en laufen und höre so interessie­rt wie gelassen zu, wird berichtet.

Vor allem die kleinen Partner nervt diese Zurückhalt­ung zunehmend, denn nicht wenige der Themen-Probleme seien in Merkels Amtszeit entstanden, heißt es. Etwa das Verfehlen der Klimaziele, die Probleme der Autoindust­rie oder das Nachhinken in der Bildung. Da dürfe man auch von der Kanzlerin Vorschläge erwarten. Doch da komme nichts. Auf der Unionsseit­e gebe es null Schuldbewu­sstsein, auch nicht angesichts des Einbruchs bei der Bundestags­wahl. Man tue so, als sei doch alles gut.

Allerdings gehörte es schon immer zu den Moderation­sfähigkeit­en Merkels, Debatten erst einmal laufen zu lassen. Vieles klärt sich von allein, ist ihre Erfahrung. Und wo nicht, ist es besser, erst am Ende aus der Deckung zu kommen, damit Kompromiss­vorschläge nicht sogleich zerredet werden. Schließlic­h gilt in solchen Verhandlun­gen das Mikado-Prinzip: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Merkel hält sich ihr Pulver für die letzten Runden trocken. So sie denn welches hat.

 ?? FOTO: STEIN/DPA ?? Angela Merkel in einem Bundestags-Flur, fotografie­rt durch eine Scheibe nach der jüngsten Sondierung. Der Weg nach Jamaika bleibt mühsam.
FOTO: STEIN/DPA Angela Merkel in einem Bundestags-Flur, fotografie­rt durch eine Scheibe nach der jüngsten Sondierung. Der Weg nach Jamaika bleibt mühsam.

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