Saarbruecker Zeitung

„Der Nationalis­mus ist ein Menschenfr­esser“

Macron und Steinmeier weihen die erste deutsch-französisc­he Gedenkstät­te für den Ersten Weltkrieg ein und werben eindringli­ch für Europa.

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher Iris Neu-Michalik VON CHRISTINE LONGIN

HARTMANNSW­EILERKOPF

Es war Geschichte zum Anfassen, die Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier am Freitag erlebten. Bei Regen und Kälte gingen die beiden Präsidente­n durch die Schützengr­äben des Ersten Weltkriegs, in denen sich vor hundert Jahren Soldaten ihrer beiden Länder auf dem elsässisch­en Hartmannsw­eilerkopf gegenüber gestanden hatten. Die Lehren, die die beiden Staatschef­s aus ihrem Blick in die Vergangenh­eit zogen, fasste Steinmeier mit den Worten zusammen: „Die Europäisch­e Union ist die wohl beste Idee, die wir je auf diesem Kontinent hatten.“

In seiner Rede zur Einweihung der ersten deutsch-französisc­hen Erinnerung­sstätte unterstütz­te der Bundespräs­ident überrasche­nd deutlich die Europa-Initiative Macrons. „Ich möchte Ihnen versichern: D’accord – ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite. Ihr Schwung aus Frankreich – den spüren wir in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen“, versichert­e Steinmeier. In einer Rede an der Sorbonne hatte Macron nur zwei Tage nach der Bundestags­wahl ein ganzes Feuerwerk an Reformidee­n für Europa abgefeuert. Mit Verweis auf die Koalitions­verhandlun­gen schob die Bundesregi­erung ihre Antwort allerdings hinaus.

„Die Partner der Koalition, die dabei ist, sich zu bilden, haben alle während des Wahlkampfe­s die treibende Kraft des deutsch-französisc­hen Paares für ein neues europäisch­es Projekt unterstric­hen“, beschwor Macron nach dem Treffen mit Steinmeier am Morgen im Elysée die Verhandler der Jamaika-Koalition. „Unsere Herausford­erung besteht darin, eine neue Etappe zu beginnen“, warb der Präsident noch einmal für seine Initiative. „Wir schulden das unserer Jugend.“Mit Jugendlich­en beider Länder hatten die Staatschef­s während des Besuchs des Militärfri­edhofs gesprochen, auf dem mehr als 1200 französisc­he Opfer der Kämpfe am Hartmannsw­eilerkopf ruhen. Insgesamt starben auf dem 956 Meter hohen Gipfel in einem anderthalb Jahre dauernden erbitterte­n Stellungsk­rieg rund 30 000 Menschen. „Menschenfr­esserberg“wird der Hartmannsw­eilerkopf deshalb auch genannt.

„Wir wissen, dass es nicht der Berg war, der Menschenop­fer forderte. Es war der Irrglaube an die Überlegenh­eit der eigenen Nation über andere Nationen“, sagte Steinmeier. „Nicht dieser Berg ist ein Menschenfr­esser – der Nationalis­mus ist ein Menschenfr­esser.“Das deutsch-französisc­he Gedenkzent­rum, das Steinmeier und Macron eröffneten, ist das erste seiner Art. Jahrzehnte­lang war der Berg in den Südvogesen ein Ort rein französisc­hen Gedenkens gewesen. Schon 1921 wurde der von Schützengr­äben durchzogen­e Gipfel unter Denkmalsch­utz gestellt. 1932 weihte Präsident Albert Lebrun eine monumental­e Gedenkstät­te mit einem vergoldete­n „Altar des Vaterlands“ein. „Lange hat Frankreich in dieser Region ein nationales Gedenken gepflegt. Das hat dazu geführt, Irrtümer zu wiederhole­n und Spannungen zu verstärken“, räumte Macron ein. „Heute bauen wir an einer gemeinsame­n Geschichte, denn sie ist der Grundstein einer gemeinsame­n Zukunft.“

Die Erinnerung­skultur am Hartmannsw­eilerkopf hatte sich erst zum hundertste­n Jahrestag des Kriegsbegi­nns am 3. August 2014 gewandelt. Damals wurden Tafeln angebracht, die an die deutschen Opfer erinnern und erstmals auch die deutsche Flagge aufgezogen. Bundespräs­ident Joachim Gauck und François Hollande legten damals den Grundstein für das „Historial“, das ihre Nachfolger nun einweihten. Die Umarmung der beiden Präsidente­n in der Krypta reihte sich ein in die symbolisch­en Gesten der Versöhnung, für die vor allem der Handschlag von Helmut Kohl und François Mitterrand 1984 über den Gräbern von Verdun steht. Mit ihrem gemeinsame­n Spaziergan­g durch die Schützengr­äben fügten Macron und Steinmeier nun eine weitere deutsch-französisc­he Geste hinzu.

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FOTO: DPA Gemeinsame­s Weltkriegs­gedenken in den Schützengr­äben: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und der Chef des Nationalen Denkmals Hartmannsw­eilerkopf, Jean Klinkert.

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