„Arbeiten bis zum Umfallen kann nicht die Zukunft sein“
Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds sorgt sich um das arbeitsmarktpolitische Profil einer möglichen Jamaika-Regierung.
Frau Buntenbach, was beunruhigt Sie bei den bisherigen Jamaika-Verhandlungen?
BUNTENBACH Gerade die Frage, wie die Umbrüche in der Arbeitswelt politisch gestaltet werden sollen und was man der Spaltung am Arbeitsmarkt entgegensetzen will, muss eigentlich zu den wichtigsten Punkten künftigen Regierens zählen. Praktisch jeder spürt doch, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert. Hier gibt es bei Jamaika aber noch eine riesige Leerstelle. BUNTENBACH Bislang bedeutet Digitalisierung für die meisten Beschäftigten nur eine Verdichtung ihrer Arbeit bis hin zu ständiger Erreichbarkeit. Da geht der Feierabend kaputt und auch das freie Wochenende. Bislang gibt es viel zu wenige Möglichkeiten für die Betroffenen, auf die Lage und Dauer ihrer Arbeitszeit aktiv Einfluss zu nehmen.
Soll heißen?
BUNTENBACH Einerseits werden Tätigkeiten automatisiert, andererseits veraltet sicher geglaubtes Wissen immer mehr. Notwendig ist ein Recht auf berufliche Weiterbildung. Eine künftige Regierung muss dafür sorgen, dass Beschäftigte durch Freistellungen und einen finanziellen Ausgleich unterstützt werden. Eine solche Weiterbildungsoffensive muss öffentlich gefördert werden, wie immer der Mix aus Steuer- und Beitragsmitteln im Einzelnen aussieht.
Die Arbeitgeberverbände dringen auf eine flexiblere Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit. Gehört das nicht auch zur „Arbeit 4.0“?
BUNTENBACH Was die Arbeitgeber fordern, kommt einer Streichung des Feierabends gleich. Und das geht nicht. Das Arbeitszeitgesetz ermöglicht hochflexible Arbeitszeitmodelle: Wenn zum Beispiel eine Mutter ihr Kind um 15 Uhr in der Kita abholen muss, kann sie zur Not am Abend bis 22 Uhr nacharbeiten und trotzdem tags darauf um neun Uhr wieder anfangen. Um es klar zu sagen: Ich halte das bereits für problematisch, da jeder, der Kinder hat, weiß, dass die Betreuungszeiten nicht nur Erholung bedeuten. Es ist aber geltendes Recht. Das zeigt: Das Arbeitszeitgesetz schafft genügend Spielraum für flexibles Arbeiten.
Nach einem aktuellen Urteil des EUgH lässt die EU-Arbeitszeitrichtlinie ein Arbeiten von bis zu zwölf Tagen am Stück zu. Steht der DGB da nicht auf verlorenem Posten?
BUNTENBACH Das Urteil hat uns sehr irritiert, zeigt aber umso mehr, wie wichtig es ist, dass wir hier in Deutschland ein Arbeitszeitgesetz haben, das für die Beschäftigten bessere Standards regelt. Arbeiten bis zum Umfallen kann doch nicht das Modell der Zukunft sein. Wenn die Beschäftigten wie Zitronen ausgepresst werden, dann legt sich das auf ihre Gesundheit. Und damit ist am Ende auch den Betrieben nicht geholfen.
Der DGB sieht also keinen Bedarf, das geltende Arbeitszeitgesetz zu überarbeiten?
BUNTENBACH Klare Antwort, nein. Was wir aber brauchen, sind Regelungen für mehr selbstbestimmte Flexibilität bei den Arbeitszeiten. Hier denke ich insbesondere an den Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit.
In der letzten Wahlperiode war ein Gesetzentwurf gescheitert, der ein Rückehrrecht von Teilzeit- in Vollzeitarbeit vorsah. Offenbar will die Union dieses Recht für Betriebe ab 200 Mitarbeiter einführen. Wäre das eine gute Lösung?
BUNTENBACH Nein. Denn die meisten Beschäftigten arbeiten in kleineren Betrieben. Gerade Frauen, die gern mehr arbeiten würden, bleiben in der Teilzeitfalle stecken. Nötig ist ein Gesetz, das möglichst allen Beschäftigten mehr selbstbestimmte Flexibilität ermöglicht.
Hand aufs Herz, erwarten Sie von einer Jamaika-Koalition nennenswerte Fortschritte in Sinne der Gewerkschaften?
BUNTENBACH Wir werden hier nicht locker lassen, denn die Menschen erwarten zu Recht konkrete Angebote für ihre berufliche Zukunft.