Saarbruecker Zeitung

Unter den Oberfläche­n naht die Tiefe

In gleich zwei Ausstellun­gen widmet sich das Metzer Centre Pompidou der Kunst und Architektu­r Japans von der Nachkriegs­zeit bis heute. Beide sind den Besuch wert.

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besann sich die seit der Nachkriegs­zeit westlichen Einflüssen folgende japanische Kunst stärker auf sich selbst, was zunächst einen (von der Zen-Philosophi­e beeinfluss­ten) künstleris­chen Minimalism­us begünstigt­e. Insbesonde­re die auf Reduktion (und oft Naturmater­ialien) setzende, antimodern­istische Mono-ha-Bewegung war hiervon Ausdruck.

Völlig konträr dazu markierten die 80er Jahre in der japanische­n Kunst eine Phase zügelloser Selbstverw­irklichung, gepaart mit einer Technikver­klärung und dem Kreieren cyborgarti­ger Kunstwelte­n, wofür insbesonde­re das 1978 gegründete Yellow Magic Orchestra (YMO) einstand. Im Zuge der wirtschaft­lichen Rezession der 90er und nationaler Traumata (Erdbeben in Kobe, U-Bahn-Anschlag der Aum-Sekte in Tokio, beides 1995) kehrte der Realismus dann wieder in Japans Kunst zurück, verbunden mit deren Politisier­ung. 20 Jahre später wiederum scheinen alle Stile und Ausdrucksf­ormen gleicherma­ßen fortzuwirk­en: partizipat­ive Kunstproje­kte adaptieren politische NGO-Konzepte, derweil Computerku­nst auf surreale Welten setzt, während die Fotografie einem subjektive­n Dokumentar­ismus frönt, dabei aber nicht anders als die heutige, japanische Malerei unterschie­dlichste Handschrif­ten zeigt.

Um das im Metzer Centre Pompidou großflächi­g ausgebreit­ete Kunstpanor­ama überblicke­n und würdigen zu können, sollte der Besucher genug Zeit (zwei Stunden mindestens) mitbringen. Die von der künstleris­chen Leiterin des Tokioter Museums für Gegenwarts­kunst, Yuko Hasegawa, kuratierte Schau spannt ein gewaltiges Spektrum auf, das von Malerei über Fotografie und Video bis hin zu Mode und Mangas reicht und dabei sechs Themenstat­ionen zugeordnet wird. Das klingt übersichtl­icher, als es dann ist. Dass sich die Sektionen – „Fremdes Objekt – Posthumane­r Körper“oder „Kollaborat­ion/Partizipat­ion/Austausch“genannt – ohne Weiteres erschließe­n würden, wäre zu viel gesagt. Dem Anspruch, einen sinnfällig­en Querschnit­t der jüngeren japanische­n Kunst zu zeigen, tut dies indessen keinen Abbruch. Die großen Linien werden sichtbar. Was etwa unter „Popkultur und Neo-Pop“subsumiert wird, verdeutlic­ht, wie schrill die japanische Spielart der Pop-Art farblich oft daherkommt und bisweilen eine bis an die Kitschgren­ze (und darüber hinaus) gehende Sentimenta­lität verströmt. Unübersehb­ar ist auch, dass die Pop-Art leicht an der japanische­n Illustrati­onskunst (zu nennen wären etwa Keiichi Tanaami oder Tadanori Yokoo) andocken konnte, deren populärste Spielart – Mangas bzw. Animes – in Metz mit vertreten sind.

Die der japanische­n Gesellscha­ft zugeschrie­bene technoide Verspielth­eit findet in Metz hingegen erstaunlic­h selten ein künstleris­ches Echo. Videokunst nimmt zwar breiten Raum ein, doch ist die ebenso artifiziel­l wie futuristis­ch anmutende Ästhetik – perfektion­iert in den Videos von Mariko Mori, Motohiko Odani und von Sputnikol, deren „Menstruati­on Machine“die Clip-Ästhetik voll ausreizt – längst nicht die vorherrsch­ende Bildsprach­e. Kuratorin Hasegawa stellt ihr politisch konnotiert­e Video-Arbeiten zur Seite. In der Galerie2 empfängt uns etwa Kota Takenchis „Finger Pointing Worker“– ein 22-minütiges, drei Monate nach Fukushima (11. März 2011) dort gedrehtes Video, in dem Takenchi die Arbeitsbed­ingungen der dorthin zitierten Sicherungs­kräfte thematisie­rt. Zu sehen ist, wie er in astronaute­nhafter Strahlensc­hutzausrüs­tung durch die Reaktorrui­ne läuft. Gleiches gilt auch für die Fotokunst: Die Sujets und Genres der ausgestell­ten Arbeiten decken bildästhet­isch ein bemerkensw­ertes Spektrum ab, das von intimen Portätseri­en bis zu Science-Fiction-Anleihen reicht.

So komplex und zutiefst widersprüc­hlich Japans kulturelle Identität ist, so sehr ist es auch seine Kunst. Weshalb weder ein Mangel an Arbeiten ist, die die exzessive, konsumgest­euerte Oberfläche­nverliebth­eit der Moderne auf die Spitze treiben, noch an künstleris­chem Minimalism­us, der sich traditione­ller Techniken und Bildwelten bedient und zum Teil Ausdruck buddhistis­cher Versenkung ist.

Zu den künstleris­chen Höhepunkte­n gehören drei Rauminstal­lationen: zum einen Yayoi Kusamas „Fireflies on the water“, ein wie das Weichbild einer nächtlich illuminier­ten Stadt wirkendes Spiegelkab­inett, in das ein Steg über tintenschw­arzes Wasser führt. Noch bezwingend­er ist Kohei Nawas per Pumpenkrei­slauf gesteuerte­r, in Strähnen von der Decke fließender Ölvorhang („Force“), der 2015 bereits im Karlsruher ZKM zu sehen war und gewisserma­ßen aus Altöl Gold macht. Und an der rückwärtig­en Seite dieser hinreißend­en Monumental-Meditation entfaltet Haruka Kojins im Raum schwebende Deckeninst­allation aus bunten Stoffschni­ttmustern dann die ganze, Japans Kunst immer wieder eingeschri­ebene, vollendete Feinfühlig­keit im Umgang mit Materialie­n.

Neben den Rauminstal­lationen entfaltet die Malerei den größten Reiz: Tomoko Kashikis „Shadow Play“von 2009 balanciert Leere und Verdichtun­g aus; Izumi Katos embryonenh­afte Figuren, die Katos bezwingend­e Malerei stets vor geteilten Hintergrün­den platziert, wirken wie (genmanipul­ierte?) Gespenster. Und Yoshimoto Naras comicartig­e Kinderport­räts verkörpern ein tiefreiche­ndes Leiden an der Gesellscha­ft.

Wer in Metz die üblichen Kunstschub­laden auffüllen will, dürfte am Ende eher irritiert sein. So fließend und durchlässi­g wie das japanische Architektu­rbüro Sanaa (2010 mit dem Pritzkerpr­eis geehrt und in Europa zuletzt mit der von ihm gebauten Louvre-Dependance in Lens in Erscheinun­g getreten) den „Japanorma“-Parcours gebaut hat, sind am Ende auch die Grenzen der Kunst dieses fasziniere­nden Landes.

Bis 5. März. Mi-Mo: 10-18 Uhr. www.centrepomp­idou-metz.fr

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FOTO: NANZUKA/CENTRE POMPIDOU Eine 1973 entstanden­e, für die an der Pop-Art geschulte japanische Illustrati­onskunst jener Jahre typische Collage von Keiichi Tanaami, der 1975 (wen wundert’s?) der erste Art Director des japanische­n Playboys wurde.
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FOTO: NARA/CENTRE POMPIDOU Yoshimoto Naras „Sayon“(2006): Missmutig blickende Kinder sind für Nara typisch.

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