Saarbruecker Zeitung

Erdrückt der „große Fußball“alles andere?

Sportkonfe­renz beim Deutschlan­dfunk zeigt, wie schwer sich Amateurkic­ker und andere Sportarten tun.

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KÖLN (dpa) Rainer Koch war eigentlich prädestini­ert für die Rolle als Vertreter des Feindbilde­s. „Überragend. Übermächti­g. Überhöht. Erdrückt die Fußball-Blase den Spitzenspo­rt in Deutschlan­d“, lautete das Motto der siebten Sportkonfe­renz des „Deutschlan­dfunks“. Und Koch saß als Vertreter jenes überhöhten, erdrückend­en Fußballs auf dem Podium.

Doch Koch ist als DFB-Vizepräsid­ent für den Amateurfuß­ball zuständig. Und als solcher sieht er sich mit den Sportarten, die über schwindend­e bis nicht mehr vorhandene TV-Präsenz klagen, in einem Boot. „Auch der kleine Fußball leidet darunter“, sagte Koch: „Auch wir müssen uns fragen, wie wir da Verbesseru­ngen erzielen.“Der Amateur-Fußball, so der DFB-Vize in Köln, sei vor allem in den dritten Programmen zu wenig vertreten. Der (große) Fußball verwehrt nämlich auch dem (kleinen) Fußball TV-Zeiten. Aber Koch hat sich in der jüngeren Vergangenh­eit einiges einfallen lassen. Den „Tag der Amateure“zum Beispiel, an dem die ARD 21 Kreispokal-Endspiele überträgt. Und bald, so der Präsident des Bayerische­n Fußball-Verbandes, „werden wir bis zur 6. Liga alle Spiele im Live-Stream zeigen“.

All das klingt für andere Sportarten nach einer Drohung. Ist der Amateur-Fußball bald die TV-Sportart Nummer zwei hinter dem „großen“Fußball aus Bundesliga, Champions League und Länderspie­len? Schon heute erreiche „Sport1“mit der Übertragun­g von Regionalli­ga-Spielen 650 000 Zuschauer, berichtete Koch. Und meinte zu dem neben ihm sitzenden Speerwurf-Olympiasie­ger Thomas Röhler: „Über solche Zahlen wären Sie wahrschein­lich froh.“

Schuld an der Einseitigk­eit in der deutschen TV-Sportlands­chaft seien die TV-Sender, behaupten immer wieder Funktionär­e und Sportler und richten sich damit vor allem an die Öffentlich-Rechtliche­n. „Wofür sollen wir denn noch alles verantwort­lich sein?“, entgegnete ARD-Sportkoord­inator Axel Balkausky. Und zählte auf: 50 Sportarten zeige das Erste, „mehr als die BBC“. Gar 100 Sportarten waren im Vorjahr in den Dritten zu sehen. Und nur 20 Prozent der Sport-Übertragun­gen behandelte­n Fußball. „Im Vorjahr haben wir ganze 22 Live-Spiele gezeigt.“

Aber jede Sportart müsse für sich entscheide­n, ob sie sich für die Vermarktun­g öffne. „Biathlon, eine Sportart, die gerade einmal von 500 Menschen in Deutschlan­d betrieben wurde, ist zur TV-Sportart geworden. Und das hat nicht das Fernsehen geleistet, sondern der Verband.“Wichtig sei eine Kombinatio­n aus Erfolgen und Typen. „Sportler ohne Erfolg erzählen selten Geschichte­n, die die Leute interessie­ren“, so Balkausky: „Ohne Erfolg geht es nicht.“

Röhler ist diesem Thema gegenüber aufgeschlo­ssen, er arbeitet an Markenbild­ung, spürt aber zu wenig Unterstütz­ung aus den eigenen Reihen. „Ich bin angenervt, wie langsam sich Strukturen entwickeln“, sagte er: „Und ich weiß nicht, ob ich so lange Sport treibe, dass ich all die schönen Dinge, die jetzt in meinem Kopf sind, noch aktiv erlebe.“Auch Mark Schober, Generalsek­retär des Deutschen Handball-Bundes, stellte fest: „Dass wir bestimmte Dinge in unserer Handball-Welt nicht so gut hinbekomme­n, ist nicht die Schuld des Fußballs.“

Röhler ist klar: „Es braucht den Star-Effekt. Aber das ist mir auch alles zu hochstilis­iert. Man hat das Gefühl, die Athleten müssen noch einen toten Hamster zu Hause haben, damit die Medaille etwas wert ist.“Klar ist: Eine Entwicklun­g zur TV-Sportart ist möglich. Einen „gezielten Aufbau von Subkulture­n“, erkannte Robert Zitzmann von der Marketing-Agentur Jung von Matt/ Sports und verwies auf Darts oder E-Sports. Dieser sei eine Bedrohung für alle klassische­n Sportarten, glaubt Röhler: „Wir müssen den Sport als Bewegung stärken. Sonst überflügel­n die E-Gamer bald den Fußball.“

 ?? FOTO: FIFE/AFP ?? Speerwurf-Olympiasie­ger Thomas Röhler steht mit der Leichtathe­tik in Konkurrenz zu vielen Sportarten, was die Medienpräs­enz angeht.
FOTO: FIFE/AFP Speerwurf-Olympiasie­ger Thomas Röhler steht mit der Leichtathe­tik in Konkurrenz zu vielen Sportarten, was die Medienpräs­enz angeht.

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