Saarbruecker Zeitung

Auf der Promenade der Königin

Der Queen’s Walk am Südufer der Themse bietet Besuchern Orientieru­ng in Londons überborden­dem Angebot an Sehenswürd­igkeiten.

- VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER

LONDON London ist eine verworrene Stadt. Anders als New York mit seiner rigiden Geometrie oder Paris mit seinem imperialen Netz von Boulevards verfügen die Straßen der englischen Hauptstadt über kein prägendes Strukturpr­inzip. Diese Nonchalanc­e hat einen großen Charme, den Neuankömml­ing kann sie aber schnell überforder­n.

So muss denn die Natur übernehmen, was der Mensch nicht geschafft hat: Ordnung ins Chaos zu bringen. Der Flusslauf der Themse bietet dem London-Novizen eine erste Orientieru­ng. Entlang ihres Südufers verläuft der Queen’s Walk, eine zum 25. Thronjubil­äum Elisabeths II. eingeweiht­e Promenade, die an vielen Wahrzeiche­n der Stadt vorbeiführ­t.

Deren wohl berühmtest­es ist Big Ben. Mit dem Blick auf den Glockentur­m des englischen Parlaments am gegenüberl­iegenden Ufer beginnt der Gang am südlichen Brückenkop­f der Westminste­r Bridge. Er führt vorbei an einer riesigen Schlange von Touristen vor dem Riesenrad London Eye und beschreibt eine sanfte Rechtskurv­e, ehe rechter Hand die Tate Modern auftaucht. Eine ehemalige Turbinenha­lle wurde vom Schweizer Architekte­nduo Herzog und de Meuron, das auch die Münchner Allianz-Arena und die Hamburger Elbphilhar­monie entworfen hat, zum Museum für Moderne Kunst umgebaut. Ein kleiner Abstecher bietet sich an, nicht zuletzt, wenn gerade wieder einer dieser für London typischen kurzen, leichten Regenschau­er niedergeht.

Im zweiten Stock findet sich ein ganz besonderer, leicht abgedunkel­ter Raum. Hier hängen zehn Gemälde des für seine meditative­n Farbfläche­n berühmten amerikanis­chen Malers Mark Rothko, die dieser ursprüngli­ch für das Restaurant Four Seasons in Manhattan vorgesehen hatte. Sein Ziel war es, so ist überliefer­t, „jedem Hurensohn, der jemals in diesem Raum isst, den Appetit zu verderben.“ Was Rothko bestimmt gefallen hätte: Heute kann nicht nur ein exklusiver Geldadel seine Werke bestaunen, sondern jeder – und das völlig kostenlos. Der Eintritt zur Tate ist wie der zu vielen anderen bedeutende­n Museen in London – und ganz im Gegensatz zu den Touristen-Fallen wie dem erwähnten London Eye oder Madame Tussauds – gratis.

Tritt der Besucher wieder aus dem Museum hinaus, fällt sein Blick über die Themse auf die Südfassade der St Paul’s Cathedral, neben der Kathedrale von Canterbury und der Westminste­r Abbey, die wichtigste Kirche der Church of England. Nicht ganz so authentisc­h ist das Globe Theatre, das der Flaneur auf den Spuren der Königin auf seinem weiteren Weg nun passiert. Es ist eine in den 1990er Jahren eröffnete Rekonstruk­tion der historisch­en Spielstätt­e der Werke William Shakespear­es.

Als Nächstes wartet die London Bridge, über der ein neues ikonisches Bauwerk aufragt, The Shard, die Scherbe, deren schartige Spitze derzeit noch das höchste Gebäude der EU markiert. Unter der Brücke lässt sich auf dem Borough Market Street Food aus aller Herren Länder genießen.

So gestärkt kann sich der Fußgänger schließlic­h auf die letzte Etappe begeben, die ihn nun in Richtung Tower Bridge führt. Dort eröffnet sich ihm ein spektakulä­res Panorama: Seite an Seite stehen der tausend Jahre alte Tower of London und die modernen Türme des Bankenvier­tels. Das Nebeneinan­der der frivolen Insignien einer kosmopolit­ischen Elite und der grimmigen Mauern eines nationalen Symbols, das wahlweise als Trutzburg und als Gefängnis diente, bringen den Betrachter ins Grübeln angesichts des nahenden Abschieds Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union.

Und während er nachdenkli­ch die Tower Bridge überquert, um sich nun endlich in das Getümmel der Nordseite zu stürzen, begleitet ihn das Motto der City of London, das die Wände der Brücke ziert: Domine dirige nos – Herr, leite uns.

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FOTO: LIBERA/VISITLONDO­N.COM London bietet ein riesiges Angebot an Sehenswürd­igkeiten. Wer sie erkunden möchte, folgt einfach dem Flusslauf der Themse.

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