Auf der Promenade der Königin
Der Queen’s Walk am Südufer der Themse bietet Besuchern Orientierung in Londons überbordendem Angebot an Sehenswürdigkeiten.
LONDON London ist eine verworrene Stadt. Anders als New York mit seiner rigiden Geometrie oder Paris mit seinem imperialen Netz von Boulevards verfügen die Straßen der englischen Hauptstadt über kein prägendes Strukturprinzip. Diese Nonchalance hat einen großen Charme, den Neuankömmling kann sie aber schnell überfordern.
So muss denn die Natur übernehmen, was der Mensch nicht geschafft hat: Ordnung ins Chaos zu bringen. Der Flusslauf der Themse bietet dem London-Novizen eine erste Orientierung. Entlang ihres Südufers verläuft der Queen’s Walk, eine zum 25. Thronjubiläum Elisabeths II. eingeweihte Promenade, die an vielen Wahrzeichen der Stadt vorbeiführt.
Deren wohl berühmtestes ist Big Ben. Mit dem Blick auf den Glockenturm des englischen Parlaments am gegenüberliegenden Ufer beginnt der Gang am südlichen Brückenkopf der Westminster Bridge. Er führt vorbei an einer riesigen Schlange von Touristen vor dem Riesenrad London Eye und beschreibt eine sanfte Rechtskurve, ehe rechter Hand die Tate Modern auftaucht. Eine ehemalige Turbinenhalle wurde vom Schweizer Architektenduo Herzog und de Meuron, das auch die Münchner Allianz-Arena und die Hamburger Elbphilharmonie entworfen hat, zum Museum für Moderne Kunst umgebaut. Ein kleiner Abstecher bietet sich an, nicht zuletzt, wenn gerade wieder einer dieser für London typischen kurzen, leichten Regenschauer niedergeht.
Im zweiten Stock findet sich ein ganz besonderer, leicht abgedunkelter Raum. Hier hängen zehn Gemälde des für seine meditativen Farbflächen berühmten amerikanischen Malers Mark Rothko, die dieser ursprünglich für das Restaurant Four Seasons in Manhattan vorgesehen hatte. Sein Ziel war es, so ist überliefert, „jedem Hurensohn, der jemals in diesem Raum isst, den Appetit zu verderben.“ Was Rothko bestimmt gefallen hätte: Heute kann nicht nur ein exklusiver Geldadel seine Werke bestaunen, sondern jeder – und das völlig kostenlos. Der Eintritt zur Tate ist wie der zu vielen anderen bedeutenden Museen in London – und ganz im Gegensatz zu den Touristen-Fallen wie dem erwähnten London Eye oder Madame Tussauds – gratis.
Tritt der Besucher wieder aus dem Museum hinaus, fällt sein Blick über die Themse auf die Südfassade der St Paul’s Cathedral, neben der Kathedrale von Canterbury und der Westminster Abbey, die wichtigste Kirche der Church of England. Nicht ganz so authentisch ist das Globe Theatre, das der Flaneur auf den Spuren der Königin auf seinem weiteren Weg nun passiert. Es ist eine in den 1990er Jahren eröffnete Rekonstruktion der historischen Spielstätte der Werke William Shakespeares.
Als Nächstes wartet die London Bridge, über der ein neues ikonisches Bauwerk aufragt, The Shard, die Scherbe, deren schartige Spitze derzeit noch das höchste Gebäude der EU markiert. Unter der Brücke lässt sich auf dem Borough Market Street Food aus aller Herren Länder genießen.
So gestärkt kann sich der Fußgänger schließlich auf die letzte Etappe begeben, die ihn nun in Richtung Tower Bridge führt. Dort eröffnet sich ihm ein spektakuläres Panorama: Seite an Seite stehen der tausend Jahre alte Tower of London und die modernen Türme des Bankenviertels. Das Nebeneinander der frivolen Insignien einer kosmopolitischen Elite und der grimmigen Mauern eines nationalen Symbols, das wahlweise als Trutzburg und als Gefängnis diente, bringen den Betrachter ins Grübeln angesichts des nahenden Abschieds Großbritanniens aus der Europäischen Union.
Und während er nachdenklich die Tower Bridge überquert, um sich nun endlich in das Getümmel der Nordseite zu stürzen, begleitet ihn das Motto der City of London, das die Wände der Brücke ziert: Domine dirige nos – Herr, leite uns.