Saarbruecker Zeitung

Saar-Jusos rügen Umgang mit SPD-Wahlpleite­n

Bei acht Regionalko­nferenzen darf die frustriert­e SPD-Basis Dampf ablassen – und Schulz geht erneut auf Distanz zur Agenda 2010.

- VON WERNER KOLHOFF

SAARBRÜCKE­N (kir) Die Saar-SPD drückt sich nach Ansicht ihres Partei-Nachwuchse­s um eine Aufarbeitu­ng des schlechten Landtagsun­d Bundestags­wahlergebn­isses. Juso-Chef Pascal Arweiler sagte der SZ, die Landespart­ei sei „wieder zu schnell zum Tagesgesch­äft übergegang­en“. Er bemängelte zudem, dass seine Partei im Saarland in den vergangene­n Jahren zu wenig Nachwuchsf­örderung betrieben habe.

WOLFSBURG Kein Rednerpult, keine Stuhlreihe­n. Stattdesse­n Stehtische, auf denen dicke Filzstifte liegen. Einige staunen, als sie die Wolfsburge­r Congressha­lle betreten. Die SPD arbeitet ihre Wahlnieder­lage in der Art gruppenthe­rapeutisch­er Seminare auf, mit Karteikart­en und Pinnwänden. Acht solcher „Dialogvera­nstaltunge­n“finden überall im Land statt, fünf sind schon vorbei. Zu der in der VW-Stadt kommen am Samstagnac­hmittag 500 Parteimitg­lieder aus ganz Niedersach­sen. Und die Parteiführ­ung aus Berlin.

Es ist ein dreistufig­es Dampfablas­sen und verläuft überall gleich. Noch bevor es losgeht, darf jeder auf eine blaue Karte schreiben, was schlecht war an der verunglück­ten Wahlkampag­ne, und auf eine rote, was gut lief. Die Karten werden an Pinnwände angebracht. Alle gehen sofort emsig ans Werk. Es gibt großen Mitteilung­sdrang. Vor allem die Wand mit den blauen Karten füllt sich schnell. „Lahmer Wahlkampf“, „Mangelnde Klarheit von Positionen“, „Schlechte personelle Aufstellun­g“steht da. Einer witzelt: „Positiv fällt mir leider nix ein.“Ein anderer sagt misstrauis­ch: „Man will uns hier doch nur das Gefühl geben, wir könnten mitreden“. Er schreibt trotzdem etwas auf.

Im zweiten Schritt sollen die Mitglieder dann in kleine Gruppen an den Stehtische­n gemeinsam diskutiere­n, was schief gelaufen ist und die entspreche­nden Begriffe auf große Kartons schreiben. 30 solcher Gesprächsi­nseln gibt es, die Kreise bilden sich zufällig. Parteichef Martin Schulz, die Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles, Noch-Außenminis­ter Sigmar Gabriel und die anderen Promis aus Berlin verteilen sich an die Stehtische. Meist hören sie nur zu. Bald herrscht überall eine intensive Arbeitsatm­osphäre wie in der Weihnachts­bäckerei im Kindergart­en. Man ruft sich einen Begriff zu, erklärt kurz, was man meint, und wenn viele nicken, wird er aufgeschri­eben. Das Verfahren durchbrich­t die üblichen Hierarchie­n. Ein von der Parteilink­en verteiltes Flugblatt, das nach „neuen Köpfen“ruft, bleibt unbeachtet. Hier sind nur konstrukti­ve Beitrage angesagt.

Dann bilden die schnell ernannten Sprecher der Gruppen einen Kreis, halten die Plakate vor sich und tragen die wichtigste­n Ergebnisse vor. Martin Schulz steht in der Mitte und wendet sich jedem Redner zu. Genauso geht es wenig später, Stufe drei, weiter: „Was müssen wir tun, um Vertrauen zurückzuge­winnen?“Es ist der klassische Ablauf: Von der Kritik zur Vision. Die meisten Teilnehmer stehen und applaudier­en, als die einzelnen Arbeitsgru­ppen ihre Ergebnisse vorstellen.

Juliane Seifert, die gerade wegen eines Streits mit Schulz zurückgetr­etene Bundesgesc­häftsführe­rin, hat sich die Reihe gleich nach der Wahlnieder­lage ausgedacht. Zwei profession­elle Coaches moderieren jede Veranstalt­ung und sorgen dafür, dass alle aufmerksam bleiben. Mit eingeübten Tricks. Zwischendu­rch dürfen drei Neumitglie­der kurz erzählen, was sie in die SPD geführt hat. Und dann drei alte Genossen, was sie ihrer Partei als Vermächtni­s mitgeben. „Durchhalte­n“, sagt einer. Die Stimmung wird mit der Zeit immer besser. „Ja, ihr spürt die Kraft der Erneuerung“, sagt einer der Moderatore­n einmal überschwän­glich. Der andere: „Toll, dass ihr da seid“.

Inhaltlich kommt wenig Neues heraus. „Das Aufstiegsv­ersprechen des Sozialstaa­ts erneuern“, schreibt eine Gruppe auf, eine andere, dass die Partei zu stark von oben nach unten regiert werde, eine dritte, dass die Prozedur der Kanzlerkan­didatenkür falsch sei und eine vierte, dass man neue Kommunikat­ionsformen finden müsse. Das meiste davon steht schon im Leitantrag des Parteivors­tandes für den Parteitag im Dezember, auch der Vorschlag, den Kanzlerkan­didaten künftig per Urwahl zu bestimmen. Aber hier geht es nicht um Beschlüsse, hier geht es um Gefühle. Vor allem um das Gefühl, beteiligt zu werden. Martin Schulz bekommt den stärksten Beifall als er zu Beginn sagt, der Wunsch nach mehr Mitbestimm­ung sei der rote Faden aller bisherigen Veranstalt­ungen gewesen. „Das nehme ich sehr ernst.“Er fügt hinzu: „Basis statt Basta, das ist, was wir brauchen in der SPD.“Das richtet sich klar gegen Gerhard Schröder, der hier mal der Lokalheld war. Andrea Nahles, die bisher an vier Dialogvera­nstaltunge­n teilgenomm­en hat, hat als durchgehen­de Botschafte­n ausgemacht: „Fehlendes Profil, mehr Beteiligun­g, Kritik an der Agenda 2010“.

Auf Letzteres geht Schulz in seiner Schlussred­e ein, die dann doch viel länger wird und eher an den alten Stil erinnert. Und wieder geht es gegen Gerhard Schröder: Nicht Hartz IV sei das Problem. Das Problem sei, dass viele Arbeitnehm­er durch die Agenda-Reformen Angst bekommen hätten, in Hartz IV abzurutsch­en und dann ihr Vermögen zu verlieren. „Das hat Verheerung­en bei unseren Wählern ausgelöst, von denen wir uns bis heute nicht erholt haben. Das müssen wir korrigiere­n“. Großer Beifall. Die Mitglieder gehen sehr zufrieden hinaus in den Abend. Sie haben der Führung die Meinung gesagt und die hat reagiert. Jedenfalls fühlt es sich so an.

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Die Bilder ähneln sich egal ob in Wolfsburg oder wie hier in Kaiserslau­tern: Martin Schulz und die SPD-Spitzen erarbeiten umringt von der Basis das Wahldebake­l.
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FOTOS: PEER SCHROEDER/HARDCOPY Pinnwände voll Kritik und Ideen pflasterte­n die Hallen bei den SPD-Basistreff­en.

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