Wie das Kanzleramt den Bürger erforscht
Vier Forscher helfen seit 2015 mit psychologischen „Stupsern“dabei, dass die Politik der Regierung beim Volk besser ankommen soll. Mit Erfolg?
Schüler aus benachteiligten Gegenden bewerben sich eher an einer Top-Universität, wenn sie ermutigende Briefe von Studenten mit einem ähnlichen Hintergrund erhalten. Ist so etwas problematisch?
„Es sollte so gestaltet werden, dass die Entscheidungsautonomie der Bürger gestärkt und nicht geschwächt wird“, sagt der Volkswissenschaftler Jan Schnellenbach von der TU Cottbus über das Nudging. Zum Beispiel: „Fotos von glücklichen Kindern in Impfbroschüren wären kein Problem. Das Bild eines Maserntoten schon.“Bedenklich fände Schnellenbach auch „versteckte Suchkosten“in der Kantine, wo weniger gesunde Lebensmittel nur schwer auffindbar sind: „Ich finde plötzlich keine Schokolade und keinen Hamburger mehr.“Transparenz sei wichtig. Der Staat soll also nicht an psychischen Schräubchen drehen, die dem Bürger gar nicht bewusst sind. Doch die Übergänge zwischen sinnvoller Aufklärung und Manipulation sind fließend. „Die Grenze zur Manipulation ist oft letztlich nicht objektiv definierbar. Hier muss man sich dann auf sein Bauchgefühl verlassen.“
Das Bauchgefühl von Lothar Funk von der Hochschule Düsseldorf jedenfalls lässt ihn die Sache entspannter sehen. „Das scheint ja im Prinzip gut zu sein, dass man als Regierung versucht herauszufinden, was sinnvoll ist für die Bevölkerung“, sagt der Ökonom. „Natürlich muss man da wachsam sein, weil Leute, wenn sie manipuliert werden, sich erst ab einer gewissen Schwelle dagegen wehren.“Doch die deutsche Öffentlichkeit sei bei dem Thema schon sehr sensibel. „Die Debatte über mögliche Freiheitsgefahren findet in Deutschland sehr früh statt.“Vielleicht zu früh, glaubt er.
So weitreichende Eingriffe haben die Experten im Kanzleramt wohl nicht im Blick. Sie haben sich bislang mit Kaufentscheidungen bei Elektrogeräten befasst (Ergebnis: Verbraucher greifen eher zu teuren Produkten, wenn der Preis auf die Lebensdauer umgerechnet wird) oder mit neuen Berufsbezeichnungen für unabhängige Anlageberater (Ergebnis: „Honorarberater“klingt teuer). „Bei dem, was dazu bisher öffentlich gemacht wurde, sehe ich keine sehr großen Probleme“, sagt Skeptiker Schnellenbach. „Der größte Teil dessen, was die Bundesregierung macht, fällt gar nicht unter diesen Begriff des Nudging.“Knapp 340 000 Euro haben öffentliche Stellen nach Angaben aus verschiedenen Ministerien und Landkreisen für solche Projekte ausgegeben. Ob die kommende Bundesregierung „wirksam regieren“will, und die Referenten mit „wissenschaftlichen Hintergründen“in Jura und Psychologie weiterbeschäftigt, ist unklar.
„Die Grenze zur Manipulation ist oft nicht definierbar.“
über zu starke Einflussnahme des Staates