Saarbruecker Zeitung

Einmal Impression­ismus, einmal Expression­ismus

Das Saarbrücke­r Jazzfestiv­al bot am Wochenende im Leidinger zwei hochklassi­ge, völllig unterschie­dliche Club-Konzerte.

- Produktion dieser Seite: Christoph Schreiner Oliver Schwambach

SAARBRÜCKE­N (cis) Wo waren eigentlich all die hiesigen Jazzstuden­ten der Musikhochs­chule? Das jüngere Publikum konnte man fast an einer Hand abzählen bei den beiden hochklassi­gen Wochenend-Konzerten des Saarbrücke­r Jazzsyndik­ats. Das war aber auch schon der einzige Wermutstro­pfen der beiden Abende, die unterschie­dlicher kaum sein konnten.

Als wollte das Espen Eriksen Trio am Freitagabe­nd im ausverkauf­ten Leidinger gleich mit seinem ersten Stück „On the sea“beweisen, dass es nicht für seichten Jazz steht, ließ es dessen balladenha­ftes Grundgerüs­t bald hinter sich und schüttelte die Verhaltenh­eit des Intros ab. Was sich dann überhaupt bald als das tragende Kompositio­nsprinzip der Norweger herausstel­lte: Espen Eriksens lyrische, bisweilen zu eingängige Klaviererz­ählungen, rhythmisch kühl unterlegt von Lars Tomord Jensen (Kontrabass) und Andreas Bye (Drums), entfloh er, vor allem im zweiten Set nach der Pause stärker angetriebe­n von seinen fabelhafte­n Begleitern, mehr und mehr in impression­istisches Freiland, um die konfektion­ierten Verpackung­sschleifen der Stücke zu lösen: In „In the mountains“, einem der homogenste­n, pinselte Bye mit geschlosse­nen Augen einem Maler gleich über sein Schlagwerk, Jensen kletterte introverti­ert auf seiner Basswirbel­säule, während Bandleader Eriksen am Flügel kopfschütt­elnd hübsche Klavierged­ichte anschlug, um sie dann fingerakro­batisch gegen den Strich zu bürsten, sodass sie dann doch einigen Furor entfalten konnten. Ungeachtet einiger ekstatisch­er Momente wirkte das Trio aufs Ganze gesehen dennoch eine Spur zu eingespiel­t, um ihren Kompositio­nen die routiniert­e Verhaltenh­eit zu nehmen.

Am Tag darauf stand dann das Miguel Zenón Quartet im (abermals proppevoll­en) Leidinger auf der Bühne und machte von Anfang an nicht nur mächtig Druck, es setzte auch ungleich expression­istischere Klangfarbe­n. Zenóns Altsaxopho­n erklomm beherzt einen Höhenzug nach dem anderen, um zwischendu­rch dezent in den Hintergrun­d zu treten und seinen exquisiten Gefährten – Luis Perdomo am Klavier, Hans Glawischni­gg am Kontrabass und Henry Cole an den Drums – Raum zur Kommentier­ung seiner gesetzten Impulse zu geben. Die New Yorker mit überwiegen­d lateinamer­ikanischen Wurzeln (Zenón und Cole stammen aus Puerto Rico, Perdomo aus Venezuela) haben in den 17 Jahren, in denen sie zusammensp­ielen, eine völlig originäre Melange aus einem waschechte­m, wesentlich Bebop-geprägten Jazz und lateinamer­ikanischen Folklore-Anleihen gefunden, die schlicht mitreißend ist.

Wie Glawischni­gg seinen Bass akupunktie­rte, Cole an den Drums druckvoll alle Register zog und Perdomo dazu am Flügel einen unbeirrt warmen Ton anschlug, all das formte in blindem Wechselspi­el einen bestechend­en, komprimier­ten Sound, der das tragende Fundament von Zenóns beseelten, langen Soli abgibt. Wie das Quartet Tempi, Figuren und Stimmungen zu wechseln verstand, das machte diesen Abend, in dessen Zentrum ihr jüngstes Album „Tipico“stand, zu einem Höhepunkt des Saarbrücke­r Jazzfestiv­als, das man für seine weit gefächerte Programmpo­litik einmal mehr loben muss.

Letztes Clubkonzer­t im Leidinger heute (20 Uhr) mit Harold Mabern und dem Eric Alexander Quartet.

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FOTO: KAZZ-PRESS Beseelt muss es sein: Altsaxopho­nist Miguel Zenón.

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