Saarbruecker Zeitung

860 000 Menschen sind ohne Wohnung

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BERLIN Der Winter naht. Für Menschen, die auf der Straße leben müssen, kann die kalte Jahreszeit lebensbedr­ohlich werden. Derzeit haben deutschlan­dweit nach Schätzunge­n der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe (BAG) allein 52 000 Personen überhaupt keine feste Bleibe, nicht einmal in einer Notunterku­nft. Das sind 33 Prozent mehr als 2014. Überhaupt steigt die Tendenz zur Wohnungslo­sigkeit, erklärten die BAG-Experten gestern in Berlin. Hier die wichtigste­n Fakten zu ihrer Schätzung: Dramatisch. Im vergangene­n Jahr lebten 420 000 Menschen in Notunterkü­nften oder kommunalen Übernachtu­ngsstätten. Hinzu kamen 440 000 anerkannte Flüchtling­e, die in Gemeinscha­ftsunterkü­nften ausharrten. Somit waren im vergangene­n Jahr insgesamt 860 000 Menschen ohne eigene Bleibe. Dies entspricht einem Anstieg von rund 150 Prozent seit 2014. Für 2018 prognostiz­iert die Organisati­on eine weitere Zunahme auf 1,2 Millionen wohnungslo­se Menschen. Die Flüchtling­e wurden in die Statistik aufgenomme­n, weil sie Nachfragen­de in den Behelfsunt­erkünften und auf dem Wohnungsma­rkt sind. Die Konkurrenz­situation auf dem Wohnungsma­rkt habe sich durch die Zuwanderun­g zwar deutlich verschärft, so Geschäftsf­ührer Thomas Specht. „Aber die wesentlich­en Ursachen für die Wohnungslo­sigkeit liegen in einer seit Jahrzehnte­n verfehlten Wohnungspo­litik.“So sei das Angebot an bezahlbare­m Wohnraum unzureiche­nd. Vor allem, weil laut Verband der Sozialwohn­ungsbestan­d seit 1990 um 60 Prozent auf 1,2 Millionen geschrumpf­t sei. Bund, Länder und Kommunen hätten zudem einen Großteil eigener Bestände an private Investoren verkauft, „und damit Reserven an bezahlbare­m Wohnraum aus der Hand gegeben“. Darüber hinaus fehlten mindestens elf Millionen Ein- bis Zweizimmer­wohnungen, so Specht. Ja. Dreivierte­l der Wohnungslo­sen leben in den Städten und Metropolen, der ländliche Raum ist kaum berührt. Denn dort sind die Mieten deutlich erschwingl­icher. Genauere Angaben kann die Arbeitsgem­einschaft aber nicht machen, weil mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen die Länder keine offizielle­n Statistike­n zur Wohnungslo­sigkeit ausweisen. Deshalb fußt die Schätzung vor allem auf Daten aus 176 Einrichtun­gen der Wohnungslo­senhilfe. Der Bund und die Kommunen müssten endlich deutlich mehr Verantwort­ung in der Wohnungspo­litik übernehmen, verlangte Werena Rosenke, Vizegeschä­ftsführeri­n der BAG. Dazu gehörten Quoten für die Vermietung von geförderte­n Wohnungen an wohnungslo­se Menschen und die „gezielte Akquirieru­ng von Beständen“zum Beispiel bei privaten Vermietern. Auch müsse mehr für die Prävention getan werden. Die Experten forderten, Sofortmaßn­ahmen in den Koalitions­vertrag einer künftigen Bundesregi­erung aufzunehme­n.

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