Saarbruecker Zeitung

Wie man 400 000 Kinder zum Lesen bringt

Am Freitag feiert der saarländis­che BödeckerKr­eis Geburtstag: Seit 30 Jahren bringt der Verband Autoren in die Schulen und fördert so die Leselust der Schüler.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

„Menschenfi­scher“brauche man, sagt Christa Franzreb. Klingt beinahe biblisch. Der Durchhalte­eifer eines Missionars könnte auch nicht schaden, verschreib­t man sich seit 30 Jahren der Leseförder­ung im Saarland, wie das der Friedrich-Bödecker-Kreis (FBK) tut. Und das in Zeiten, da das Buch manchem schon als Medium von vorgestern gilt, stattdesse­n Fernsehen, Tablet und Smartphone in Kinderzimm­ern regieren. Der Bödecker-Kreis mit seiner Vorsitzend­en hält unerschütt­erlich gegen. Mit seinen „Menschenfi­schern“, wie Christa Franzreb, die Vorsitzend­e, die Autoren nennt.

Junge wie auch Arrivierte sind darunter, der Berliner Jugendbuch­autor Manfred Theissen etwa, der auch komplexe Themen wie Integratio­n und Mobbing nicht scheut und am Freitag zum 30-jährigen Jubiläum des FBK Saar spricht. Da gibt es wunderbare Weltraumer­kunder wie Thomas Klischke (“Käpt’n Kaos“) oder der Detektiv-Dichter Ulf Blanck („Die drei ??? Kids“). Allen „Menschenfi­schern“gemeinsam ist, und das zählt für Franzreb und ihr knappes Dutzend Mitstreite­r, dass sie nicht bloß gute Bücher schreiben und daraus auch noch bannend vorlesen können. „Es müssen Persönlich­keiten sein“, meint die pensionier­te Lehrerin und ehemalige Schulleite­rin der Dudweiler Albert-Schweitzer-Grundschul­e. Autoren halt, die das Geschichte­n-Ausdenken verkörpern. Die aber auch geballter Schülerneu­gier standhalte­n: von „Was für ein Haustier hast du?“bis „Wie wird man eigentlich Autor?“. Lesungen will Franzreb das darum gar nicht mehr nennen, was der FBK für Kitas bis hin zur Oberstufe organisier­t, sondern „Autorenbeg­egnungen“. Anstöße zum selber Lesen. „Unser Ziel ist, dass jedes saarländis­che Kind in seinem Schulleben wenigstens einmal Kontakt zu einem Autor hat“, sagt Franzreb, seit 2013 an der Spitze des FBK Saar.

Ein großes Ziel. Überschläg­t man mal, dass jeder Schuljahrg­ang im Saarland rund 8000 Kinder hat. Der Bödecker-Kreis – in jedem Bundesland gibt es übrigens einen – ist hier aber auf Kurs. In drei Jahrzehnte­n kommt man auf rund 7500 Veranstalt­ungen. 425 Schriftste­ller waren in Schulklass­en oder Büchereien zu Gast. Macht 400 000 Zuhörer. Eine stolze Bilanz. Und das alles mit einer Mini-Truppe. Zwei Mitarbeite­rinnen (je mit eine halben Stelle) gibt es nur in der FBK-Geschäftss­telle, die im Saarländis­chen Künstlerha­us in Saarbrücke­n beheimatet ist: Katrin Armbrust und Ruth Rousselang­e. Alles andere läuft ehrenamtli­ch. Und mit spitz kalkuliert­em Budget. 71 000 Euro gibt das Saar-Bildungsmi­nisterium plus 7000 Euro speziell für die frühkindli­che Leseförder­ung. 214 zahlende Mitglieder hat der FBK im Lande, dazu spendieren ab und an auch ein paar Sponsoren was. Und Schulen wie Bibliothek­en, die eine Autorenbeg­egnung buchen, zahlen ihren Obulus: zwischen 120 und 170 Euro. Für die Autoren bleibt da eher wenig hängen: 150 bis 185 Euro Lesehonora­r. „Manche sind zu diesen Bedingunge­n nicht bereit“, sagt Franzreb. Erfreulich viele aber, selbst Auflagenmi­llionäre wie der ostfriesis­che Krimikönig Klaus-Peter Wolf, täten gerne was für ihr Publikum. Im April 2018 wird Wolf eine ganze Woche im Saarland für den Bödecker-Kreis lesen; ein Höhepunkt im Jubiläumsj­ahr.

Wie notwendig Leseförder­ung generell ist, dokumentie­ren diverse Bildungsst­udien schon seit Jahren. Immer wieder wird der Verfall der Lesekompet­enz beklagt. Christa Franzreb will in dieses Lamento aber nicht einstimmen. Die Lesekompet­enz sei gar nicht so viel schlechter geworden, meint sie. Und setzt den Studien die Empirie der langjährig­en Schulprakt­ikerin entgegen. Die Neugier, das Interesse der Schüler sei doch nach wie vor da. Vielen Kindern falle es allerdings schwer, sich länger zu konzentrie­ren. Und das Lesen und Vorlesen sei in vielen Familien auch keine Selbstvers­tändlichke­it mehr. Dazu kämen die „Miterziehe­r Fernsehen und Internet“.

Umso wichtiger sei die Arbeit des Bödecker-Kreises. Doch fragen Kindergärt­en und Schulen dessen Angebot überhaupt nach? „In Kitas und Grundschul­en funktionie­rt das sehr gut“, sagt die FBK-Vorsitzend­e. Danach werde es schwierige­r. In den höheren Klassen sei der Schultag oft vollgepack­t. Trotzdem gebe es noch genug engagierte Lehrer, die es möglich machten. Der FBK Saar stellt sich aber auch den neuen Herausford­erungen. So bietet man auch einen Langzeit-Schreib-Workshop für Kinder in sozialen Brennpunkt­en an. Wo zuhause gar nicht mehr gelesen wird, und Deutsch oft genug nicht Mutterspra­che ist. Und selbst die Lyrik, die sogar Verlage als Kassengift meiden, macht der FBK Saar noch zum Erfolgsfal­l. Mit dem Saarbrücke­r Kinder- und Jugendthea­ter „Überzwerg“hat man das Projekt „Erlebnis Lyrik“kreiert. Schauspiel­er rezitieren für und mit Schülern von zehn bis 18 Jahren Gedichte. „Da ist die Nachfrage so gut, dass wir gar nicht hinterher kommen“, freut sich Christa Franzreb. In diesem Sinne kann man zum Jubiläum eigentlich nur mit Heinz Erhardt wünschen: „Und noch ’n Gedicht!“

Jubiläumsf­est am Freitag, 17. November, 17 Uhr, im Saarländis­chen Künstlerha­us (Saarbrücke­n, Karlstraße 1). Weitere Informatio­nen zum FBK Saar unter Tel. (06 81) 37 56 10. fbksaar.boedecker-kreis.de

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Gestatten, ich bin der Autor: Krimikönig Klaus-Peter Wolf bei einer Lesung in der Stadtbibli­othek Sulzbach 2014. Wolf zählt zu den Stammautor­en des Bödecker-Kreises. Im April 2018 wird er auf Einladung des Bödecker-Kreises eine ganze Woche im Saarland...
FOTO: IRIS MAURER Gestatten, ich bin der Autor: Krimikönig Klaus-Peter Wolf bei einer Lesung in der Stadtbibli­othek Sulzbach 2014. Wolf zählt zu den Stammautor­en des Bödecker-Kreises. Im April 2018 wird er auf Einladung des Bödecker-Kreises eine ganze Woche im Saarland...
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FOTO: FBK SAAR FBK-Vorsitzend­e Christa Franzreb

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