Saarbruecker Zeitung

Wie Antibiotik­a-Missbrauch neue Killerkeim­e züchtet

Die EU schlägt Alarm. Multiresis­tente Bakterien bedrohen die Menschen. Wer trägt die Schuld?

- VON DETLEF DREWES UND STEPHANIE SCHWARZ

BRÜSSEL/HOMBURG Klebsiella pneumoniae ist ein Bakterium, das jeder Mensch in sich trägt – eines, über das man sich im Normalfall keine Sorge machen muss. Doch es kann auch zum Auslöser schwerer Atemwegser­krankungen werden, die in wenigen Fällen nicht behandelba­r sind. Denn der Atemwegs-Keim hat sich über Jahre den Antibiotik­a so angepasst, dass nicht einmal schwere pharmazeut­ische Geschütze noch anschlagen. Innerhalb von vier Jahren stieg die Zahl der Erkrankung­en von 6,2 auf 8,1 Prozent, meldete das EU-Prävention­szentrum ECDC gestern. „Acht Prozent bedeutet, dass von 100 Patienten acht praktisch nicht mehr behandelba­r sind“, sagte Behördench­efin Andrea Ammon am Aktionstag über Antibiotik­a. Die Fälle, in denen Medizinern praktisch keine Behandlung­smöglichke­iten mehr bleiben, sind zwar noch Ausnahmen. Dennoch sorgt sich die EU über die Zunahme multiresis­tenter Keime. „Die Perspektiv­e einer Zukunft ohne Antibiotik­a ist erschrecke­nd, da wir dann möglicherw­eise keine größeren chirurgisc­hen Eingriffe oder Organtrans­plantation­en mehr vornehmen können“, beklagte gestern EU-Gesundheit­skommissar Vytenis Andriukait­is. Sollte die Entwicklun­g so weitergehe­n, könnten antimikrob­ielle Resistenze­n po- tenziell alle drei Sekunden ein Menschenle­ben kosten.

Das findet Dr. Fabian Berger, Assistenza­rzt der Mikrobiolo­gie am Universitä­tsklinikum des Saarlandes, etwas überspitzt dargestell­t: „Eine Operation sollte unter sterilen Bedingunge­n ablaufen. Nicht in jedem Fall kommt es zu Infektione­n.“Auch künftig werde daher nicht jede Operation den Einsatz von Antibiotik­a nach sich ziehen. Berger stimmt jedoch der allgemeine­n Problemati­k zu: „Es wird immer schwierige­r, bei gewissen problemati­schen Keimen eine adäquate Therapie zu finden.“

Dabei verläuft die Entwicklun­g nach Angaben der EU-Experten durchaus unterschie­dlich. Während sich das Bakterium Escherichi­a (Ehec) zunhemend den Antibiotik­a anpasst, gibt es bei den gefürchtet­en MRSA-Erregern leichte Entwarnung. Diese als Krankenhau­skeime bekannten Bakterien wurden 2015 deutlich weniger festgestel­lt als noch 2012. „Daran kann man sehen, dass es möglich ist, einen Trend nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren“, sagt ECDC-Chefin Ammon. Ein Durchbruch lässt jedoch weiter auf sich warten. Die EU, die den Europäisch­en Antibiotik­atag zum zehnten Mal veranstalt­ete, hat mit einen Aktionspla­n Tier- und Humanmediz­iner zum zurückhalt­enden Antibiotik­a-Gebrauch verpflicht­et. Den Ansatz teilt Saar-Experte Berger: „Der Einsatz von Antibiotik­a gegen Bakterien ist wie ein evolutionä­rer Kampf. Alte und neu entwickelt­e Antibiotik­a treffen auf unterschie­dlich resistente Keime. Ein Hauptziel muss es also sein, den Antibiotik­averbrauch generell zu verringern.“

Maßnahmen gegen Killer-Keime könnten laut EU auch ohne Forschung ergriffen werden: Dazu zählen eine konsequent­e Umsetzung der Hygienevor­schriften in Kliniken und Praxen und das Abschirmen infizierte­r Patienten. Die Forschung arbeite unterdesse­n an einem Antibiotik­a-Ersatz, sagt Berger: „Es gibt experiment­elle Substanzen, die ständig in der Entwicklun­g sind – zum Beispiel synthetisc­h hergestell­te. Auch lassen sich Antibiotik­a verändern, damit sie wieder wirksam werden.“An eine dunkle Zukunft ohne Antibiotik­a glaubt Berger nicht: „Dass irgendwann bei allen Bakterien gar nichts mehr wirkt, das wird nicht der Fall sein.“

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FOTO: MARKS/DPA Bakterien wie Ehec werden immer resistente­r gegen Antibiotik­a.

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