Saarbruecker Zeitung

Kerosin-Anhörung lässt viele Fragen offen

Bisherige Studien dazu sind veraltet. Experten fordern eine bessere Meldekette, Warnmöglic­hkeiten und praktische Tests.

- VON ERIC KOLLING UND FLORIAN SCHLECHT

Wie gefährlich ist es für Bevölkerun­g und Umwelt, wenn Piloten Kerosin aus ihren Flugzeugen ablassen? Eine Anhörung im rheinland-pfälzische­n Landtag zeigt: Belastbare Daten gibt es nicht, Studien zu diesem Thema sind veraltet.

MAINZ/ZWEIBRÜCKE­N Wie gefährlich ist es für die Bevölkerun­g, wenn Piloten in Notfällen das Flugzeugbe­nzin Kerosin aus ihren Flugzeugen ablassen? Erst vor einem Monat erleichter­te ein Pilot seinen Airbus A380 auf dem Weg von Frankfurt nach Houston (Texas) um 80 Tonnen Kerosin wegen eines Fahrwerkpr­oblems. Die Maschine flog über das Nordsaarla­nd, den Bliesgau, Zweibrücke­n, drehte hinter Pirmasens eine Schleife und kehrte zum Flughafen Frankfurt zurück.

Mehr als 240 Tonnen des Treibstoff­es haben Flugzeuge in Rheinland-Pfalz 2016 abgesonder­t – fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor, teilte das Umweltmini­sterium des Landes mit. In der ersten Jahreshälf­te des aktuellen Jahres waren es nach Angaben der Deutschen Flugsicher­ung (DFS) rund 187 Tonnen. Bis heute gebe es keine belastbare­n Daten über die Folgen für die Bevölkerun­g.

In der Saar-CDU/SPD-Landesregi­erung ist Kerosin-Ablassen offenbar kein Thema. Das Umweltmini­sterium verwies ans Wirtschaft­sressort bei der Frage, wie viel Kerosin 2015 bis 2017 über dem Saarland abregnete. Der Sprecher des Wirtschaft­sministeri­ums Wolfgang Kerkhoff sagte: „Die besten Zahlen hat immer die Flugsicher­ung.“

Der Verkehrsau­sschuss des rheinland-pfälzische­n Landtages dagegen hat mit Experten über das Thema gesprochen. Zufrieden waren die Landtagspa­rteien danach aber keineswegs. Ob oder wie gefährlich das Flugzeugbe­nzin für die Bürger ist, sei nämlich unklar geblieben. Es sei aber deutlich geworden, dass es Lücken zwischen den Handelnden gebe, so Sitzungsle­iter Thomas Weiner, CDU-Landtagsab­geordneter aus Pirmasens.

Eine schon früher geforderte Meldekette muss her. Das schlug neben Weiner auch die Grünen-Landtagsab­geordnete Jutta Blatzheim-Roegler vor. In der Praxis können Piloten nach Gefahrenla­ge entscheide­n, ob sie Sprit ablassen – der Fokus liege dabei aber auf der Sicherheit der Passagiere und nicht auf möglichen Schäden für Umwelt und Bevölkerun­g. Die Flugsicher­ung weise dem Flieger den Korridor zu, in dem er nicht mit anderen Maschinen zusammenst­oße könne. Wann und wo Kerosin abgelassen wurde, melde die Behörde nur halbjährli­ch beim Luftfahrtb­undesamt. Eine Rückkoppel­ung ans Landesumwe­ltamt, das die Belastunge­n mit seinen Mess-Stationen überprüfen könne, erfolge gar nicht mehr.

Weiner hofft, dass die Bevölkerun­g im betroffene­n Gebiet künftig direkt aufgeforde­rt wird, die Fenster zu schließen – ähnlich wie bei einem Chemieunfa­ll. Verbesser- te Landes-Mess-Stationen müssten die Belastung am Boden ermitteln und dürften nicht nur wie bisher Wochenwert­e liefern, findet Weiner. Dass das Berliner Bundesumwe­ltminister­ium auf Antrag des Mainzer Umweltmini­steriums bis November 2018 ein Gutachten zu Kerosin-Gefahren erstellen will (wir berichtete­n), beruhigte die Gemüter nicht. SPD-Fraktionsc­hef Alexander Schweitzer kritisiert­e, dass die geplante Arbeit bislang nicht über eine „lauwarme Literaturs­tudie“hinauszuge­hen drohe. Was die Sache für ihn noch schlimmer macht: „Die meisten Studien, auf die sich heute die Fachwelt beruft, gehen teilweise bis ins Jahr 1959 zurück.“Daher pochte er nicht nur auf einen Schwerpunk­t der Studie im überdurchs­chnittlich oft betroffene­n Rheinland-Pfalz (6 von 16 bundesweit­en Fällen 2016). Auch praktische Tests müssten einfließen, die laut Holger Münch vom Bundesumwe­ltamt bisher nicht geplant seien.

Bisherige Studien ergaben, dass nicht genug Kerosin am Boden ankommt, um gefährlich zu sein. Der Treibstoff zerstäubt in der Luft und bindet sich an Regentropf­en, erklärte Robert Zausen vom Deutschen Zentrum für Raum- und Luftfahrt. Am Boden sei nichts zu messen. „Die umweltschä­dliche Wirkung des normalen Flugverkeh­rs ist deutlich größer.“Der Tüv Rheinland kommt zu dem Ergebnis, dass die Verunreini­gung des Bodens vernachläs­sigbar sei. Das Problem: Auch dieses Gutachten liegt gut 25 Jahre zurück.

Gabriele Wieland (CDU) schlug vor, Flugzeuge technisch aufzurüste­n. Ein Pilot konterte: Gewicht und Spritverbr­auch stiegen dann ebenfalls. Auch einen schnellen Umstieg auf Solar- oder Wasserstof­fantriebe, wie Stefan Hill vom Landesumwe­ltminister­ium anregte, hielt Münch nicht für machbar. Die Lufthansa schlug neue Ablass-Vorrichtun­gen vor, damit abgelassen­es Kerosin weniger schädlich auf die Erde nieselt. Thomas Weiner fordert eine bessere Aufklärung bei Kerosin-Ablässen: Wenn ein Polizist von der Schusswaff­e Gebrauch mache, ziehe das automatisc­h eine Aufklärung nach sich. So müsse man es künftig auch im Luftverkeh­r handhaben.

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FOTO: SEBASTIAN WIDMANN DPA Vor einem Monat erleichter­te ein Pilot seinen Airbus A380 wegen eines Fahrwerkpr­oblems um 80 Tonnen Kerosin. Die Maschine flog in einer Schleife über das Nordsaarla­nd, den Bliesgau und Zweibrücke­n.

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