Saarbruecker Zeitung

Jamaika trippelt zum Sondier-Finale

Heute gehen die Sondierung­en auf die Schlussger­ade. Die Parteichef­s müssen es in einer Marathonsi­tzung richten.

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN (dpa) Union, FDP und Grüne kommen bei ihren Jamaika-Sondierung­en nur in kleinen Schritten voran. Gestern stockten die Gespräche erneut bei Asyl und Klima. Bis Freitag entscheide­t sich, ob die Parteien eine Koalition bilden wollen.

BERLIN Der Jamaika-Motor bewegte sich gestern noch so, als ob man im Auto auf Leerlauf schaltet und gleichzeit­ig das Gaspedal drückt: Hochtourig, aber nicht von der Stelle. Das muss sich heute ändern, denn den vier möglichen Regierungs­partnern CDU, CSU, FDP und Grünen rennt die Zeit davon. Den Durchbruch sollen nun ganztätige Verhandlun­gen der Parteichef­s am heutigen Donnerstag bringen. Theoretisc­h hätten die Sondierer noch mehr Zeit, doch für Freitagvor­mittag haben Union, FDP und Grüne bereits Gremien-Sitzungen geplant. Die CSU am Samstag. Die ließen sich alle zwar zur Not verschiebe­n, doch wäre das ein erhebliche­s Krisensign­al. Letzte Deadline ist der übernächst­e Samstag, weil da schon zu einem Grünen-Parteitag eingeladen ist, der über das Sondierung­sergebnis befinden soll.

Fast in allen Arbeitsgru­ppen wurde intensiv verhandelt, doch ging es an den entscheide­nden Stellen gestern kaum voran. Das lag auch daran, dass die Kanzlerin wegen des Weltklimag­ipfels den halben Tag in Bonn war. „Konsentier­t“und „Nicht konsentier­t“sind gegenwärti­g die am häufigsten gebrauchte­n Worte im Regierungs­viertel. Also Übereinsti­mmung oder nicht. Gestern früh erfuhren die Verhandler der Runde für internatio­nale Politik, dass das am Abend zuvor bis Mitternach­t erzielte Ergebnis von den Grünen doch„nicht konsentier­t“werde. Also mussten sie noch einmal ran. Ebenfalls keine Einigung gab es in der Arbeitsgru­ppe Innenpolit­ik über die Vorratsdat­enspeicher­ung und in der Arbeitsgru­ppe Bildung über das Kooperatio­nsverbot. Fortschrit­te vermeldete­n praktisch nur die Agrarfachl­eute, die sich verständig­ten, eine „Tierwohl“-Kennzeichn­ung einzuführe­n, anfangs freiwillig, später verbindlic­h. Zudem soll das Töten männlicher Küken beendet werden. Auch die Familienpo­litiker kamen mit dem Rechtsansp­ruch auf einen Ganztagssc­hulplatz weiter.

Praktisch keine Fortschrit­te wurden jedoch aus der Arbeitsgru­ppe Verkehr vermeldet. Zuletzt stritt man um die von den Grünen geforderte Diesel-Besteuerun­g. Bei den Finanzen einigte man sich immerhin auf eine Kindergeld­erhöhung um 25 Euro im Monat, die dem Bund 2,4 Milliarden Euro im Jahr kostet. Und im Prinzip auch auf die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es. Nur in welchem Zeitraum und in welchen Schritten der Soli fällt, das blieb offen.

Für die FDP ist das ein Schlüsselt­hema. Und wird wohl erst heute im kleinsten Kreis zwischen den Parteichef­s entschiede­n, die ab Mittag zusammenko­mmen. Abends sollen dann weitere Verhandler dazustoßen, die so genannte „große Runde“. Ende offen. Auch das Flüchtling­s- thema mit den Hauptstrei­tpunkten Obergrenze und Familienna­chzug bleibt bis zuletzt auf der Tagesordnu­ng. Der Familienna­chzug sei für die Grünen „elementar“, erklärte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt hielt dagegen: „Es wird keine Abstriche an dem Regelwerk geben, das wir mit der CDU gemacht haben.“Und das sieht vor, den Nachzug für die Syrien-Flüchtling­e mit vorläufige­m Schutzstat­us über den März kommenden Jahres hinaus auszusetze­n.

Drittes Kernthema wird der Klimaschut­z sein, vor allem die Kohle. Im Raum steht die Forderung der Grünen, die 20 ältesten Meiler sofort abzuschalt­en, um die – schon „konsentier­ten“– Klimaziele zu erreichen. Dagegen stehen die Proteste aus den Kohlelände­rn Brandenbur­g und Nordrhein-Westfalen und die Einwände von Union und FDP. Das Umweltbund­esamt hatte am Diens- tag einen Kompromiss eingebrach­t und die Abschaltun­g von zehn Kraftwerke­n sowie eine Leistungsv­erringerun­g der übrigen vorgeschla­gen.

Schwer einzuschät­zen ist, in welcher Stimmung die Verhandler nach nunmehr drei Wochen sind und wie viel Geduld sie miteinande­r noch haben. Aus der internatio­nalen Arbeitsgru­ppe war zu hören: „Wir hören einander wirklich zu und versuchen uns jeweils zu verstehen.“Ein Bundesmini­ster will sogar schon so etwas wie einen Geist von Jamaika entdeckt haben, ein gemeinsame­s Verantwort­ungsgefühl für wichtige Themen. Anderersei­ts gibt es immer noch Auftritte wie den von CDU-Landesgrup­penchef Dobrindt, der Vorschläge der Grünen am Mittwoch erneut öffentlich als „Mondforder­ungen“, „Schwachsin­nstermine“und „Ideen aus der Mottenkist­e“abkanzelte. In dieser Tonlage dürfte es heute Nacht wirklich schwer werden.

„Ich erwarte, dass jetzt ein Ruck

durch die Sondierer geht.“

Katrin Göring-Eckardt

Grünen-Fraktionsc­hefin

„Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbi­nden

können.“

Angela Merkel

Kanzlerin und CDU-Chefin

„Wir sind überrascht von den Grünen, die hinter verschloss­enen Türen viel bewegliche­r sind.“

Christian Lindner

FDP-Vorsitzend­er

„Wir wissen alle, wie schwierig es ist, dass hier unterschie­dliche Kulturen zusammentr­effen.“

Horst Seehofer

CSU-Vorsitzend­er

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FOTO: ZINKEN/DPA Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner hat unter anderem die Abschaffun­g des Soli als wichtiges Anliegen seiner Partei im Sondierung­sgepäck.
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FOTO: NIETFELD/DPA CSU-Chef Horst Seehofer hält sich an dem Regelwerk für syrische Flüchtling­e fest, in dem der Familienna­chzug vorerst ausgesetzt wird.
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FOTO: NIETFELD/DPA Grünen-Vorsitzend­er Cem Özdemir erscheint mit einem Ordner zu den Klimaschut­z-Forderungu­ngen seiner Partei.
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FOTO: NIETFELD/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) erscheint mit den gebündelte­n Themenmapp­en zu den Sondierung­sgespräche­n.

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