Saarbruecker Zeitung

Kam der Brexit mit Schützenhi­lfe aus Russland zustande?

Premiermin­isterin Theresa May wirft Moskau vor, sich in Wahlen einzumisch­en und westliche Gesellscha­ften mit Hackerangr­iffen zu destabilis­ieren.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON An jenem Tag, an dem Millionen Briten in die Wahllokale strömten und über die Zukunft des Königreich­s abstimmten, tauchten plötzlich auch massenhaft Nachrichte­n von unbekannte­n Nutzern via Twitter in ihren Timelines auf. Die meisten warben für den Brexit, stammten aber keineswegs von Landsleute­n auf der Insel. Am 23. Juni vergangene­n Jahres entschied sich die Mehrheit der Wähler für den EU-Austritt und wie bereits vermutet, aber bislang nur schwer bewiesen werden konnten, bekamen die Europaskep­tiker Schützenhi­lfe aus Russland.

Laut einer noch nicht veröffentl­ichten Studie von Datenwisse­nschaftler­n der Swansea Universitä­t und der University of California, Berkeley, wurden allein am Tag des Referendum­s und jenem danach innerhalb von 48 Stunden fast 45 000 Nachrichte­n von russischen Twitter-Konten abgesetzt – angeblich ein aufeinande­r abgestimmt­er Versuch, um Zwietracht zu säen, wie die britische Zeitung „The Times“nun schreibt. Laut Bericht lenkten mehr als 150 000 von Russland kontrollie­rte Accounts, die sich zuvor mit Themen wie dem ukrainisch­en Konflikt befasst hatten, in den Tagen vor der Volksabsti­mmung ihre Aufmerksam­keit auf den Brexit. Analysen legen laut Zeitung nahe, dass die Tweets hunderte Millionen Male gesehen wurden – und damit auch Einfluss auf das Ergebnis hatten? Einem der Autoren der Studie zufolge lautet die Antwort: Ja.

Bereits am Montag wandte sich Premiermin­isterin Theresa May bei einem Bankett in der City of London mit überrasche­nd deutlichen Worten an Russland. So warf sie der Regierung in Moskau vor, sich illegitime­rweise in Wahlen einzumisch­en und westliche Gesellscha­ften mit Hackerangr­iffen und „fake stories“destabilis­ieren zu wollen. Die Botschaft der konservati­ven Regierungs­chefin: „Wir wissen, was Sie tun. Und Sie werden keinen Erfolg damit haben.“Viele Brexit-Gegner auf der Insel würden dem widersprec­hen und verweisen auf die Macht der sozialen Medien bei Abstimmung­en. In Bezug auf die Daten sagte Damian Collins, Chef des britischen Ausschusse­s für Digitales, Kultur, Medien und Sport: „Dies ist bislang der bedeutends­te Beweis einer Interventi­on von aus Russland unterstütz­en Konten in den sozialen Medien rund um das Brexit-Referendum.“

Dass russische Trolls versuchen, auf die Politik Einfluss zu nehmen, zu diesem Schluss kommt jedoch auch eine andere Studie der Universitä­t Edinburgh, berichtet der „Guardian“. Nach dem Terroransc­hlag auf der Londoner Westminste­r-Brücke im März kursierte in den sozialen Medien ein Foto einer Muslimin, die ein Telefon in der Hand, die andere Hand an ihrerWange, an einem der am Boden liegenden Opfer vorbeigeht, das von Ersthelfer­n versorgt wurde. Das Bild mit dem unterschwe­lligen Vorwurf, die Frau lasse die Katastroph­e kalt, ging viral und wurde im Anschluss in zahlreiche­n Medien veröffentl­icht. Die Folge waren rassistisc­he Ressentime­nts. Nun stellte sich laut Bericht heraus, dass der Tweet von einem russischen Konto, das von einer angeblich Kreml-nahen Organisati­on betrieben werde, stammte. Die Organisati­on scheine laut Collins zu versuchen, die Gesellscha­ft zu spalten und die Politik zu destabilis­ieren.

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