Saarbruecker Zeitung

Jamaika-Parteien ringen bis zuletzt um Kompromiss­e

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Gerrit Dauelsberg Michaela Heinze VON CHRISTOPH TROST

BERLIN (afp) Bei den Sondierung­sgespräche­n von Union, FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis stand gestern nach Ablauf des angepeilte­n Endtermins um 18 Uhr eine Einigung weiter aus. Die Gespräche haben sich ohne erkennbare Fortschrit­te bis in die Nacht hineingezo­gen. Hauptknack­punkte waren weiter Migration und Klimaschut­z, wie CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer und Grünen-Geschäftsf­ührer Michael Kellner im ZDF deutlich machten. Beide wollten auf Nachfragen keine Prognose hinsichtli­ch der abermals verlängert­en Sondierung­sgespräche wagen.

Am Sonntagabe­nd hatte es in Berlin zunächst separate Einzelgesp­räche der Partei-Delegation­en gegeben, bei denen diese über den Verlauf vorheriger Spitzenges­präche informiert wurden. Im Anschluss waren erneut gemeinsame Gespräche der vier Parteien vorgesehen. Bei Wirtschaft und Digitalem etwa habe es Annäherung­en gegeben, sagten Scheuer und Kellner.

MÜNCHEN (dpa) Horst Seehofer kann eigentlich nichts tun. Nur zuschauen. Während der CSU-Chef und bayerische Ministerpr­äsident in Berlin derzeit quasi Tag und Nacht über ein mögliches Jamaika-Bündnis verhandelt, hat der Machtkampf um sein Erbe zu Hause in Bayern einen neuen und schmutzige­n Höhepunkt erreicht. Der Machtkampf zwischen den Anhängern des aussichtsr­eichsten Seehofer-Nachfolger­s als Regierungs­chef, Finanzmini­ster Markus Söder, und dessen Gegnern.

Was ist passiert? Bayerns Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner hat im Gespräch mit Parteifreu­nden eine Idee geäußert, die von außen betrachtet eigentlich gar nicht so abwegig ist: eine Urwahl des Spitzenkan­didaten für die so wichtige Landtagswa­hl im Herbst 2018. Nur: Irgendwie hat diese Überlegung den Weg in die Öffentlich­keit gefunden, pünktlich zum entscheide­nden Jamaika-Wochenende. Und: Aigner hat offenbar kundgetan, dass sie selber dann antreten würde. Die Nachricht in verkürzter Fassung: Aigner will Seehofer ablösen.

Die Folge des Manövers ist: Der Riss, der seit dem CSU-Fiasko bei der Bundestags­wahl, seit Beginn des Machtkampf­s um Seehofers Erbe, durch die Partei geht, ist nun zu einer tiefen Schlucht geworden. Zwar ging es in der Geschichte der CSU nie zimperlich zu, wenn Spitzenämt­er neu verteilt wurden. Doch die Art und Weise, wie die Attacken nun geführt werden, ist jedenfalls in der jüngeren Vergangenh­eit ohne Beispiel.

Da wirft Kultusmini­ster Ludwig Spaenle, ein Vertrauter Söders, seiner Kabinettsk­ollegin Aigner öffentlich „politische­s Leichtmatr­osentum“vor. Da sagt der oberbayeri­sche Landtagsab­geordnete Florian Herrmann über seine Bezirksvor­sitzende, deren Tun sei „parteischä­digend, weil nicht irgendwelc­he Möchtegern­s Ministerpr­äsident werden können, sondern nur jemand, der das Zeug dazu hat“. Und ein weiterer Oberbayer sagt schlicht: „bemerkensw­ert dumm“. Die öffentlich­e Unterstütz­ung für Aigners Vorschlag hält sich dagegen in Grenzen. Fakt ist: In der CSU-Landtagsfr­aktion hätte Söder seit längerer Zeit eine klare Mehrheit hinter sich. Und auch auf einem Parteitag dürfte er breite Unterstütz­ung bekommen, heißt es quer durch die CSU – erst recht dann, wenn Seehofer noch einmal Parteichef bliebe oder es auf eine Doppelspit­ze etwa aus Söder und Alexander Dobrindt hinauslief­e. Aigner kam in den meisten Planspiele­n dagegen lange nicht mehr vor.

Nur: Als uneingesch­ränkter Sympathiet­räger gilt Söder sicher nicht. Insofern gehen viele führende CSU-Politiker davon aus, dass es Söder bei einer Mitglieder­befragung durchaus schwerer haben würde – was wiederum die harschen Aigner-Attacken seiner Anhängersc­haft erklärt. Wittert Aigner, lange außen vor, tatsächlic­h noch einmal Morgenluft? Söders Problem ist, dass er in der CSU-Führung viele Gegner hat: CSU-Vize Manfred Weber beispielsw­eise, aber auch Aigner. Und Seehofer sowieso. Was, wenn der 68-Jährige die Urwahl-Idee am Ende aufgreift? Fraglich ist, was eine Befragung der Mitglieder bringen würde. Könnte dies die CSU befrieden? Das sagen die einen in der Partei. Oder würde das die Spaltung nur noch weiter vertiefen – weil Sinn und Zweck der Urwahl dann nur sei, Söder zu verhindern? Das sagen die anderen. Nicht nur Söder-Anhänger warnen zudem vor einem Binnen-Wahlkampf und reiner Selbstbesc­häftigung, und das zu Beginn des Wahljahres. Als wahrschein­liches Szenario galt eine Urwahl deshalb erst einmal nicht.

Zunächst aber heißt es sowieso: Warten auf Seehofer. Der will nach dem Ende der Jamaika-Sondierung­en endlich sagen, wie er sich die künftige personelle Aufstellun­g der Partei vorstellt. Schmeißt er hin? Will er weitermach­en? Und wenn ja, in welchem Amt? Klar ist: Bei den Sitzungen von Fraktion und Vorstand, die wegen der Sondierung vertagt wurden, dürfte es zur Sache gehen – und zwar zünftig, wie der Bayer sagt.

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FOTO: HOPPE/DPA Er will CSU-Chef werden, hat aber viele Feinde: Markus Söder.
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FOTO: HOPPE/DPA Sie will es auch werden, hat aber wenig Unterstütz­er: Ilse Aigner.

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