Saarbruecker Zeitung

Gebietsref­orm im Saarland frühestens 2030

Eine Zwangsfusi­on von Kommunen wird unwahrsche­inlicher. 2024 wird es definitiv keine Reform geben.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Eine Zwangsfusi­on hochversch­uldeter Städte und Gemeinden im Saarland, die seit Jahren von Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) befürworte­t wird, rückt in immer weitere Ferne. Politiker der großen Koalition gehen inzwischen davon aus, dass sie – wenn überhaupt – erst um 2030 herum umgesetzt werden könnte. Wegen möglicher Klagen dauere es sechs bis acht Jahre, bis die Gebietsref­orm in Kraft treten könne, sagte Bouillon – wenn alles planmäßig läuft.

CDU und SPD im Saarland hatten sich in ihren Koalitions­verhandlun­gen vor allem auf Betreiben der CDU darauf geeinigt, eine Gebietsref­orm als „letztes Mittel“nicht auszuschli­eßen, wenn die Zusammenar­beit der Kommunen nicht die gewünschte­n Spar-Erfolge bringt. Die SPD ist strikt gegen Zwangsfusi­onen. In dieser Legislatur­periode, die bis 2022 dauert, sollten Hürden abgebaut werden, so dass der Landtag in der nächsten Legislatur­periode den Neuzuschni­tt der Gemeindegr­enzen bereits zur Kommunalwa­hl im Jahr 2024 beschließe­n könnte. Dieser Termin ist nun vom Tisch.

Der Sprecher der CDU-Bürgermeis­ter, Hermann Josef Schmidt (Tholey), sagte der SZ, eine Gebietsref­orm sei damit insgesamt unwahrsche­inlicher geworden. Er rechne aber mit freiwillig­en Zusammensc­hlüssen. Schmidt sieht vor allem die zwölf Saar-Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern in ihrer Existenz bedroht. Sie seien personell bald gar nicht mehr in der Lage, die Anforderun­gen etwa bei der Digitalisi­erung zu erfüllen.

Die SPD forderte Innenminis­ter Bouillon auf, mit den Kommunen ein Konzept mit konkreten Maßnahmen für mehr Zusammenar­beit zu entwickeln. „Diese Reform kann schnell gemacht werden und schnell wirken. Es ist Zeit“, sagte Fraktionsv­ize Magnus Jung. Bouillon will 2018 ein solches Papier vorlegen.

SAARBRÜCKE­N Eine Zwangsfusi­on von Kommunen war schon in weiter Ferne, als Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Anke Rehlinger am 16. Mai 2017 den Koalitions­vertrag zwischen CDU und SPD unterzeich­neten. Denn darin steht, dass eine Gebietsref­orm nur das letzte Mittel sein dürfe und dass darüber erst in der nächsten Wahlperiod­e entschiede­n werden solle, also frühestens 2022. Wer auch immer dann regieren wird.

Seither ist eine Gebietsref­orm noch viel unwahrsche­inlicher geworden. Die SPD wollte sie ohnehin noch nie, doch inzwischen wachsen auch in der CDU die Zweifel, ob es zu einem Neuzuschni­tt der hochversch­uldeten Städte und Gemeinden kommen wird.

Grund dafür ist eine Neubewertu­ng, wie lange es dauern würde, bis eine Gebietsref­orm in Kraft treten könnte. Bei der Vorbereitu­ng des CDU-Landespart­eitags am 4. November wurde Innenminis­ter Klaus Bouillon offenbar klar, dass es mitnichten so schnell geht, wie er es gerne hätte. Seine Fachleute studierten in den vergangene­n Wochen ein aktuelles, 79 Seiten dickes Urteil des Thüringer Verfassung­sgerichtsh­ofs zur dortigen Gebietsref­orm. Danach erfordert eine Gebietsref­orm Gesetzesbe­schlüsse auf drei Stufen, wobei sich die Kommunen auf jeder Stufe gerichtlic­h zur Wehr setzen können. Und jedes Mal müssten wohl umfassende Gutachten erstellt werden.

„Das muss man realistisc­h sehen“, sagt Bouillon inzwischen: „Wenn alles planmäßig läuft, brauchen wir sechs bis acht Jahre, bis die Gebietsref­orm in Kraft treten kann. In anderen Ländern waren es acht bis neun Jahre, in Rheinland-Pfalz 15 Jahre.“Von 2022 an gerechnet, hieße das fürs Saarland: frühestens 2028 bis 2030.

Ursprüngli­ch hatte die große Koalition folgendes geplant: Wenn die interkommu­nale Zusammenar­beit nicht vorankommt, sollte der nächste Landtag entscheide­n, ob er eine Gebietsref­orm zur Kommunalwa­hl 2024 in Kraft treten lässt. Um die Hürden dafür rechtzeiti­g aus dem Weg zu räumen, wollte die Koalition die Amtszeit der 38 Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter, die 2019 gewählt werden, von zehn auf fünf Jahre – also bis 2024 – verkürzen. Davon ist man nun abgerückt.

Was aber, wenn Gemeinden freiwillig fusioniere­n wollen? Dies ist von der großen Koalition ausdrückli­ch gewünscht, sie will als Anreiz auch „Heiratsprä­mien“zahlen. Angeblich gibt es erste Interessen­ten. In diesem Fall soll der Chef einer wegfallend­en Kommune in der neuen Großgemein­de bis 2029 als hauptamtli­cher Beigeordne­ter ohne Gehaltsein­bußen weitermach­en.

Da die Gebietsref­orm nun in sehr weite Ferne rückt, bekommt die Frage, wie die Kommunen durch mehr Zusammenar­beit Geld sparen können, neues Gewicht. Bis Mai 2018, so steht es im Koalitions­vertrag, wird das Innenminis­terium unter Beteiligun­g der kommunalen Spitzenver­bände „einen Katalog bzgl. möglicher Bereiche der interkommu­nalen Zusammenar­beit erarbeiten und

„Eine Funktional­reform verlangt nach klarer und entschloss­ener Führung durch das Innenminis­terium.“

Magnus Jung

SPD-Kommunalex­perte

den Kommunen verbindlic­he Vorgaben hinsichtli­ch pflichtige­r Zusammenar­beit machen“.

Innenminis­ter Bouillon hat von seinen Fachleuten zwar ein erstes Papier erarbeiten lassen, das mögliche Bereiche einer Zusammenar­beit identifizi­ert, allerdings kann das Land bei vielen Aufgaben keine Vorgaben machen, weil die kommunale Selbstverw­altung von der Verfassung geschützt ist. Bouillon hält einen solchen Katalog eigentlich auch für überflüssi­g: Jeder Bürgermeis­ter und jedes Ratsmitgli­ed wisse doch, was zu tun sei, sagte er zuletzt. Damit befindet er sich im Widerspruc­h zur SPD, die unablässig auf ein Konzept drängt: „Eine Funktional­reform verlangt nach klarer und entschloss­ener Führung durch das Innenminis­terium“, sagt der SPD-Innenexper­te Magnus Jung: „Wo wird kooperiert, wer gibt Aufgaben ab, wer übernimmt sie, wann wird das umgesetzt, wieviel soll eingespart werden? Dazu brauchen wir klare Absprachen zwischen Land und Kommunen. Diese Reform kann schnell gemacht werden und schnell wirken. Es ist Zeit.“

Als Bouillon beim CDU-Landespart­eitag eine für seine Verhältnis­se lange Rede (zehn Minuten) über seine Erfahrunge­n bezüglich interkommu­naler Zusammenar­beit hielt, sagte er: „Seit drei Jahren reißen wir uns auf Deutsch gesagt den Hintern auf.“Über 100 Sitzungen, Gutachten für 880 000 Euro: „Wir brauchen uns gar nicht in die Tasche zu lügen“, sagte er, es sei „nicht annähernd das herausgeko­mmen, was wir uns gewünscht haben“. Viele Kommunen hätten überhaupt kein Interesse. „Die Fakten liegen auf dem Tisch.“Einige Bürgermeis­ter handelten nach dem Motto: „Jeder macht, was er will, keiner was er soll, aber alle wollen bleiben.“

Bouillon wird den gewünschte­n Katalog wohl Anfang 2018 vorlegen. Bereits angekündig­t hat er, dass er die Unteren Bauaufsich­tsbehörden (UBA) neu ordnen will. Derzeit gibt es derer zwölf im Saarland, Bouillon hält sechs für ausreichen­d – je eine in jedem Landkreis und im Regionalve­rband. Doch hier bremst nun die SPD, die ihn zum Handeln drängt: Es sei unklug, ausgerechn­et an einer Stelle zu beginnen, an der es breiten Widerstand gebe. Denn die Oberbürger­meister der großen Städte, die meisten mit SPD-Parteibuch, wollen ihre UBA keinesfall­s abgeben: Sie sehen schnelle Baugenehmi­gungen als Teil der Wirtschaft­sförderung.

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Klaus Bouillon (CDU)
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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Prall gefüllte Kassen kennen die saarländis­chen Kommunen nicht. Um besser mit ihrem Geld auszukomme­n, sollen sie stärker zusammenar­beiten. Da hapert es allerdings gewaltig.

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