Gebietsreform im Saarland frühestens 2030
Eine Zwangsfusion von Kommunen wird unwahrscheinlicher. 2024 wird es definitiv keine Reform geben.
SAARBRÜCKEN Eine Zwangsfusion hochverschuldeter Städte und Gemeinden im Saarland, die seit Jahren von Innenminister Klaus Bouillon (CDU) befürwortet wird, rückt in immer weitere Ferne. Politiker der großen Koalition gehen inzwischen davon aus, dass sie – wenn überhaupt – erst um 2030 herum umgesetzt werden könnte. Wegen möglicher Klagen dauere es sechs bis acht Jahre, bis die Gebietsreform in Kraft treten könne, sagte Bouillon – wenn alles planmäßig läuft.
CDU und SPD im Saarland hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen vor allem auf Betreiben der CDU darauf geeinigt, eine Gebietsreform als „letztes Mittel“nicht auszuschließen, wenn die Zusammenarbeit der Kommunen nicht die gewünschten Spar-Erfolge bringt. Die SPD ist strikt gegen Zwangsfusionen. In dieser Legislaturperiode, die bis 2022 dauert, sollten Hürden abgebaut werden, so dass der Landtag in der nächsten Legislaturperiode den Neuzuschnitt der Gemeindegrenzen bereits zur Kommunalwahl im Jahr 2024 beschließen könnte. Dieser Termin ist nun vom Tisch.
Der Sprecher der CDU-Bürgermeister, Hermann Josef Schmidt (Tholey), sagte der SZ, eine Gebietsreform sei damit insgesamt unwahrscheinlicher geworden. Er rechne aber mit freiwilligen Zusammenschlüssen. Schmidt sieht vor allem die zwölf Saar-Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern in ihrer Existenz bedroht. Sie seien personell bald gar nicht mehr in der Lage, die Anforderungen etwa bei der Digitalisierung zu erfüllen.
Die SPD forderte Innenminister Bouillon auf, mit den Kommunen ein Konzept mit konkreten Maßnahmen für mehr Zusammenarbeit zu entwickeln. „Diese Reform kann schnell gemacht werden und schnell wirken. Es ist Zeit“, sagte Fraktionsvize Magnus Jung. Bouillon will 2018 ein solches Papier vorlegen.
SAARBRÜCKEN Eine Zwangsfusion von Kommunen war schon in weiter Ferne, als Annegret Kramp-Karrenbauer und Anke Rehlinger am 16. Mai 2017 den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD unterzeichneten. Denn darin steht, dass eine Gebietsreform nur das letzte Mittel sein dürfe und dass darüber erst in der nächsten Wahlperiode entschieden werden solle, also frühestens 2022. Wer auch immer dann regieren wird.
Seither ist eine Gebietsreform noch viel unwahrscheinlicher geworden. Die SPD wollte sie ohnehin noch nie, doch inzwischen wachsen auch in der CDU die Zweifel, ob es zu einem Neuzuschnitt der hochverschuldeten Städte und Gemeinden kommen wird.
Grund dafür ist eine Neubewertung, wie lange es dauern würde, bis eine Gebietsreform in Kraft treten könnte. Bei der Vorbereitung des CDU-Landesparteitags am 4. November wurde Innenminister Klaus Bouillon offenbar klar, dass es mitnichten so schnell geht, wie er es gerne hätte. Seine Fachleute studierten in den vergangenen Wochen ein aktuelles, 79 Seiten dickes Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zur dortigen Gebietsreform. Danach erfordert eine Gebietsreform Gesetzesbeschlüsse auf drei Stufen, wobei sich die Kommunen auf jeder Stufe gerichtlich zur Wehr setzen können. Und jedes Mal müssten wohl umfassende Gutachten erstellt werden.
„Das muss man realistisch sehen“, sagt Bouillon inzwischen: „Wenn alles planmäßig läuft, brauchen wir sechs bis acht Jahre, bis die Gebietsreform in Kraft treten kann. In anderen Ländern waren es acht bis neun Jahre, in Rheinland-Pfalz 15 Jahre.“Von 2022 an gerechnet, hieße das fürs Saarland: frühestens 2028 bis 2030.
Ursprünglich hatte die große Koalition folgendes geplant: Wenn die interkommunale Zusammenarbeit nicht vorankommt, sollte der nächste Landtag entscheiden, ob er eine Gebietsreform zur Kommunalwahl 2024 in Kraft treten lässt. Um die Hürden dafür rechtzeitig aus dem Weg zu räumen, wollte die Koalition die Amtszeit der 38 Oberbürgermeister und Bürgermeister, die 2019 gewählt werden, von zehn auf fünf Jahre – also bis 2024 – verkürzen. Davon ist man nun abgerückt.
Was aber, wenn Gemeinden freiwillig fusionieren wollen? Dies ist von der großen Koalition ausdrücklich gewünscht, sie will als Anreiz auch „Heiratsprämien“zahlen. Angeblich gibt es erste Interessenten. In diesem Fall soll der Chef einer wegfallenden Kommune in der neuen Großgemeinde bis 2029 als hauptamtlicher Beigeordneter ohne Gehaltseinbußen weitermachen.
Da die Gebietsreform nun in sehr weite Ferne rückt, bekommt die Frage, wie die Kommunen durch mehr Zusammenarbeit Geld sparen können, neues Gewicht. Bis Mai 2018, so steht es im Koalitionsvertrag, wird das Innenministerium unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände „einen Katalog bzgl. möglicher Bereiche der interkommunalen Zusammenarbeit erarbeiten und
„Eine Funktionalreform verlangt nach klarer und entschlossener Führung durch das Innenministerium.“
Magnus Jung
SPD-Kommunalexperte
den Kommunen verbindliche Vorgaben hinsichtlich pflichtiger Zusammenarbeit machen“.
Innenminister Bouillon hat von seinen Fachleuten zwar ein erstes Papier erarbeiten lassen, das mögliche Bereiche einer Zusammenarbeit identifiziert, allerdings kann das Land bei vielen Aufgaben keine Vorgaben machen, weil die kommunale Selbstverwaltung von der Verfassung geschützt ist. Bouillon hält einen solchen Katalog eigentlich auch für überflüssig: Jeder Bürgermeister und jedes Ratsmitglied wisse doch, was zu tun sei, sagte er zuletzt. Damit befindet er sich im Widerspruch zur SPD, die unablässig auf ein Konzept drängt: „Eine Funktionalreform verlangt nach klarer und entschlossener Führung durch das Innenministerium“, sagt der SPD-Innenexperte Magnus Jung: „Wo wird kooperiert, wer gibt Aufgaben ab, wer übernimmt sie, wann wird das umgesetzt, wieviel soll eingespart werden? Dazu brauchen wir klare Absprachen zwischen Land und Kommunen. Diese Reform kann schnell gemacht werden und schnell wirken. Es ist Zeit.“
Als Bouillon beim CDU-Landesparteitag eine für seine Verhältnisse lange Rede (zehn Minuten) über seine Erfahrungen bezüglich interkommunaler Zusammenarbeit hielt, sagte er: „Seit drei Jahren reißen wir uns auf Deutsch gesagt den Hintern auf.“Über 100 Sitzungen, Gutachten für 880 000 Euro: „Wir brauchen uns gar nicht in die Tasche zu lügen“, sagte er, es sei „nicht annähernd das herausgekommen, was wir uns gewünscht haben“. Viele Kommunen hätten überhaupt kein Interesse. „Die Fakten liegen auf dem Tisch.“Einige Bürgermeister handelten nach dem Motto: „Jeder macht, was er will, keiner was er soll, aber alle wollen bleiben.“
Bouillon wird den gewünschten Katalog wohl Anfang 2018 vorlegen. Bereits angekündigt hat er, dass er die Unteren Bauaufsichtsbehörden (UBA) neu ordnen will. Derzeit gibt es derer zwölf im Saarland, Bouillon hält sechs für ausreichend – je eine in jedem Landkreis und im Regionalverband. Doch hier bremst nun die SPD, die ihn zum Handeln drängt: Es sei unklug, ausgerechnet an einer Stelle zu beginnen, an der es breiten Widerstand gebe. Denn die Oberbürgermeister der großen Städte, die meisten mit SPD-Parteibuch, wollen ihre UBA keinesfalls abgeben: Sie sehen schnelle Baugenehmigungen als Teil der Wirtschaftsförderung.