Saarbruecker Zeitung

Ein Pokern bis zum Schluss

Die Jamaika-Sondierer CDU, CSU, FDP und Grüne rangen am Wochenende hart um eine Übereinkun­ft für eine gemeinsame Regierung.

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN (SZ/dpa) Der Tag hat mit einem Paukenschl­ag begonnen: In einem Zeitungsin­terview rief Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gestern die Verhandler von Union, FDP und Grünen wie unerzogene Kinder zur Ordnung. Dass man in solchen Gesprächen versuche, die Preise hochzutrei­ben, sei zwar normal, meinte Steinmeier. Aber er erwarte, „dass sich alle Seiten ihrer Verantwort­ung bewusst sind“. Das Staatsober­haupt ging noch weiter: „Das heißt auch, den Auftrag nicht an die Wähler zurückzuge­ben.“

Über Neuwahlen entscheide­t der Bundespräs­ident. Und der machte mit diesen Aussagen überdeutli­ch, dass er den Parteien diesen Ausweg schwer machen will. SPD-Chef Martin Schulz verschloss derweil den anderen Ausweg, große Koalition, komplett. Dafür stehe seine Partei nicht zur Verfügung, betonte er am Vormittag erneut. „Der Wähler hat die große Koalition abgewählt.“

Doch die Jamaikaner benahmen sich so, als hätten sie den Ernst der Lage nicht begriffen. Nicht einmal über die Frage, ob man am Sonntag definitiv um 18 Uhr fertig werden müsse, konnte man sich zunächst einigen. „Wir drehen uns seit Wochen im Kreis“, fand FDP-Vize Wolfgang Kubicki und forderte ein Ende des Dramas. CSU-Mann Horst Seehofer meinte hingegen: „Ich glaube, wir brauchen ein Stückchen mehr Zeit als bis 18 Uhr.“Er sollte Recht behalten. „Wir halten auf 17.59 Uhr die Uhren an und führen weitere Gespräche“, sagt Grünen-Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner kurz vor Ablauf der Frist. Ganz so wie manchmal bei EU-Verhandlun­gen.

Als es ab Sonntagmit­tag in der baden-württember­gischen Landesvert­retung ans Eingemacht­e ging, pfiffen draußen protestier­ende Kohlearbei­ter aus der Lausitz. Doch der Kohleausst­ieg war da noch lange nicht beschlosse­n. Zunächst einigte man sich relativ rasch über die Finanzen, dann kam das strittigst­e Thema, die Flüchtling­sfrage. Es war schon am Samstag klar geworden, dass Obergrenze und Familienna­chzug die entscheide­nden Symbolfrag­en waren, der Flaschenha­ls für alle anderen Streitthem­en. „So lange nicht alles fix ist, ist nichts fix“, sagt CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer abends dazu. Er nannte auch Klima, Energie und Finanzen noch offen.

Für Ärger hatte vor Beginn ein Interview von Jürgen Trittin gesorgt. Der Grüne Ex-Minister sagte darin, der Stopp des Familienna­chzuges sei „unmenschli­ch“. Das empörte die FDP. Ihr Parteichef Christian Lindner hielt die Zeitung mit dem Trittin-Interview bei seiner Ankunft demonstrat­iv unter dem Arm, und andere FDP-Verhandler ließen Journalist­en per SMS wissen, es krisele wegen des grünen Ex-Ministers. „Der schießt das ab, so kann man nicht arbeiten.“

War das die Art von Theaterdon­ner, die der Bundespräs­ident gemeint und vor der er gewarnt hatte? Oder ging es hier schon um Schuldzuwe­isungen? Die Grünen hatten in der Flüchtling­sfrage mit einem Kompromiss­angebot zunächst für Bewegung gesorgt. Sie boten der CSU deren ersehnte Obergrenze an. Wenn auch in einer weicheren Formulieru­ng. Man werde in einer gemeinsame­n Regierung alles tun, um einen „Rahmen“von 200 000 auch in Zukunft einzuhalte­n, lautete der grüne Formulieru­ngsvorschl­ag für das Schlusspap­ier. Allerdings, beim Familienna­chzug müsse es bleiben, das sei eine Frage der Menschlich­keit. Die Grünen seien „an jedem erdenklich­en Feld bis an die Schmerzgre­nze und darüber hinaus gegangen“, sagte ihr Parteichef Cem Özdemir dazu.

Während die CSU darüber nachzudenk­en schien, legten sich nun die Liberalen quer. Sie wollte den Familienna­chzug für syrische Flüchtling­e mit vorübergeh­endem Aufenthalt­sstatuts mindestens bis zum Inkrafttre­ten des von ihr geforderte­n Einwanderu­ngsgesetze­s in zwei Jahren ausgesetzt wissen. FDP gegen Grüne, diese Paarung löste im Verlauf des Sonntags immer mehr die bisherige Verhandlun­gsgegnersc­haft von CSU und Grünen ab. Mehrfach wurde die große Runde für Beratungen im engsten Kreis der Parteichef­s unterbroch­en, die dann wieder zurückging­en in ihre eigenen Führungsgr­emien, um zu berichten. Immer wieder standen die Gespräche kurz vorm Scheitern.

Gegen 18 Uhr stellte die FDP dann eine Art Ultimatum. Sie habe ein „schlüssige­s Paket“mit ihren Kernforder­ungen auf den Tisch gelegt und sei fertig mit den internen Beratungen, sagte Generalsek­retärin Nicola Beer. Man warte jetzt auf die Entscheidu­ng der anderen Parteien. Das klang nach: Vogel friss oder stirb. Scheitern lag in der Luft. Es wurde sehr hoch gepokert.

Draußen vor den Kameras appelliert­e CDU-Vize Julia Klöckner derweil, alle müssten „sich zusammenre­ißen und etwas hinbekomme­n“. Jeder müsse sich jetzt überlegen, „ob er das große Ganze wegen kleinerer Feinheiten platzen lassen will“. Drinnen setzte man sich erneut zusammen.

Am Ende dürfte die große Frage sein, wie so unterschie­dliche Parteien wie CDU, CSU, FDP und Grüne mit teils schwierige­n Charaktere­n in ihren Reihen in einer gemeinsame­n Regierung Vertrauen aufbauen können. Der CSU ist das gute Verhältnis von Merkel zu Göring-Eckardt seit Langem suspekt. Wie mag der gewiefte Rechtsanwa­lt und FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit der Theologin auskommen? Und kann Dobrindt mit dem linken Grünen Jürgen Trittin?

Und was macht Schwarz-GelbGrün, wenn es mal wirklich ernst wird und eine Handlungsa­nleitung für ein plötzlich auftauchen­des Problem nicht im Koalitions­vertrag steht? Wer nach der Bundestags­wahl die Hoffnung hatte, mit SchwarzGel­b-Grün ziehe ein Schuss exotischer Lockerheit in die deutsche Politik, dürfte längst enttäuscht sein.

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FOTO: CARSTENSEN/DPA Die CDU-Chefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Rande der Jamaika-Sondierung­en in der Landesvert­retung von Baden-Württember­g.

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