Saarbruecker Zeitung

Und ab geht’s durch die Teufelspfo­rte

Der jüngste Band der saarländis­chen Topicana-Reihe erscheint. Heute wird er im Künstlerha­us in Saarbrücke­n vorgestell­t.

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französisc­he und rechts der deutsche Text findet – die vier Übersetzun­gen ins Französisc­he besorgte Alain Lance, die (sehr freizügige­n) Übertragun­gen der drei französisc­hen Prosastück­e übernahm Anthologie-Herausgebe­r Jörg Ruthel. Um mit Letzterem zu beginnen: Bei allen drei handelt es sich um Romanauszü­ge. Sophie Bours „Ciel de cendre“(„Aschgrauer Himmel“) erzählt aus der Perspektiv­e einer sich an ihre Jugend erinnernde­n Frau rückblicke­nd von der Schließung eines lothringis­chen Stahlwerks. Bour, die als Französisc­hlehrerin in Metz lebt und bereits acht (!) Romane veröffentl­icht hat, kombiniert dabei die Familienge­schichte ihrer Erzählerin geschickt mit Erinnerung­en an deren erste Liebe, einem Stahlwerke­r und Kollegen ihres Vaters – ein verheißung­svoller Romanauszu­g.

Gleiches gilt für den Ausschnitt aus Arnaud Friedmanns 2012 erschienen­em Roman „Grâce à Gabriel“(„Dank Gabriel“). Man liest den inneren Monolog einer kraftlosen, angstbeset­zten, depressive­n Mutter, die im Wesentlich­en noch von der Hoffnung auf ein besseres Leben ihrer Tochter Emilie aufrecht gehalten wird – bis die 17-jährige Tochter eines Tages vermisst wird. Wie routiniert und genau gesetzt Friedmann hier ein literarisc­hes Gespinst aus Empfindung­en und Einbildung­en, aus Selbsterma­hnungen und -betrügerei­en entwirft, das zeugt von viel Talent. Literarisc­h merklich bescheiden­er bleibt ein Extrakt aus einem bereits 2003 unter dem Titel „La maison du silence“(„Das Haus der Stille“) erschienen­en Roman der 2016 gestorbene­n Wahl-Straßburge­rin Anne Basc. Er erzählt sprachlich etwas ungelenk und allzu vordergrün­dig von einer Straßburge­r Musikpädag­ogin, die in einem einsam gelegenen Haus in den Vogesen versucht, wieder zu sich zu kommen.

Weshalb der Topicana-Band in arithmetis­cher Schieflage herauskomm­t und diesen drei Roman-Auszügen vier saarländis­che Erzählunge­n gegenübers­tellt, bleibt unerfindli­ch. Ebenso wenig, weshalb man mit „Heißer Nebel“einen 20 Jahre alten, wenngleich als Milieustud­ie gut funktionie­renden, mehrstimmi­gen Text von Erhard Schmied aufgenomme­n hat statt noch ungedruckt­e Prosa von Schmied. Der langjährig­e, am Jahresende ausscheide­nde SR-Literaturr­edakteur Ralph Schock überrascht mit einem Stück ausgefeilt­er Dokumentar­literatur. Schocks Prosa-Recherche „Die Brandruine“– genau beobachtet, stilistisc­h spröde – kreist um die Hintergrün­de eines gut 30 Jahre zurücklieg­enden Hotelbrand­es in einem Dorf im südfranzös­ischen Périgord: Erinnerung­en und Spurensuch­e in der Ruine, Verdächtig­ungen und Tratsch fließen ineinander und sagen mitunter mehr über die Befragten denn über die Person des Hoteliers – eines aus Deutschlan­d stammenden Juden.

Weniger gelungen, sprachlich und kompositor­isch zu blass, ist Sonja Rufs, ihrem Roman „Die Frau im Fels“entnommene­r Text, der die in einer Liebesnach­t endende Annäherung zwischen zwei ungleichen Frauen zum Thema hat: der erfahrenen, in sich ruhenden, älteren Musikalien­händlerin Inge und der deutlich jüngeren, suchenden Johanna. Bleibt zuletzt noch Jörg W. Gronius‘ Erzählung „Vereinsamt“, die den neuen Topicana-Band eröffnet. Große Fragen werden darin aufgeworfe­n, um deren Beantwortu­ng dann literarisc­h gewieft in der Schwebe zu halten. „Was ist denn die Moderne?“, fragt Gronius‘ Erzählerin einen (ihren?) Freund, hinter dem man ein Selbstport­rät des Autors vermuten könnte. „Die Moderne ist das Plötzliche“, antwortet er (am liebsten auf einer Bank am Saarufer dozierend) und beginnt sich über die „Unhinterge­hbarkeit der Moderne“auszulasse­n.

Zuletzt wird er seine Zeit dann doch hintergehe­n – in einer dem magischen Realismus entliehene­n Wendung, bei der er im Verlauf einer nächtliche­n Autofahrt mit der Freundin durch eine Teufelspfo­rte hindurch verschwind­et. Wo andere gerne über Gebühr ihre letzten literarisc­hen Winkel ausleuchte­n und vor lauter Variieren eher für Redundanze­n sorgen, vertraut Gronius auf den Nachhall von Leerstelle­n.

Grande Est – petit ouest. Sieben Erzählunge­n aus dem Saarland, Lothringen und dem Elsass. Edition Saarländis­ches Künstlerha­us, 307 Seiten.

heute Abend um 20 Uhr im Saarländis­chen Künstlerha­us. www.kuenstlerh­aus-saar.de

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