Saarbruecker Zeitung

Hoffen auf ein „Filmarchiv der Großregion“

Was tun mit den Filmschätz­en der Vergangenh­eit, die langsam verfallen und dann für immer verloren sind? Eine Tagung in Saarbrücke­n hat sich mit der Lage der Filmarchiv­e in der Region beschäftig­t.

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Johannes Schleuning

Schloss stellten Experten aus der Großregion den Stand der Dinge in Sachen Archivieru­ng vor – und dieser Stand könnte je nach Land, Region und Stadt unterschie­dlicher kaum sein. Das machte Andrea Wurm von der Uni Saarbrücke­n gleich in der Eröffnung deutlich: Während etwa Luxemburg in seinem „Centre national de l’audiovisue­l“(CNA) alles zentral sammele und aufbereite, geschehe dies zum Beispiel in Belgien nur verstreut in verschiede­nen Institutio­nen; das mache es schon grundlegen­d schwer, passende oder interessie­rte Ansprechpa­rtner zu finden (so war bei der Tagung auch kein Referent aus Belgien anwesend).

Im Saarland gebe es, erklärte Wurm, das gemeinsame Archiv von Saarländis­chem Rundfunk und Südwestrun­dfunk, aber kein offizielle­s saarländis­ches Archiv, wenn auch einen privaten Verein. Und das Landesarch­iv habe so gut wie keine Filme im Bestand. Wurms Fazit: Innerhalb der Großregion fehlen die Verbindung­en zwischen Archiven und zentrale Anlaufstel­len. „Wer sich informiere­n will, muss sich durch viele Institutio­nen wühlen.“Aber Wurm hofft langfristi­g auf „ein Filmarchiv der Großregion“, dessen Anfang (neben dieser Tagung) das EU-Projekt „Digitale Steine“machen soll, das noch bis 2019 läuft – beginnend mit dem Schwerpunk­t Industriek­ultur, die die gesamte Großregion miteinande­r verbindet.

Wie schwierig schon das Sichten von Bestand sein kann, zeigt sich, wenn etwa die Forbacher Médiathèqu­e

Andrea Wurm 100 Kurzfilme und Dokus vor allem über den Bergbau besitzt, aber kein Abspielger­ät mehr für das betagte U-Matic-System. Um die Filme überhaupt einmal zu sichten, müssen die Filme zu Kollegen nach St. Avold gekarrt werden. „Die Lage könnte besser sein“, sagte auch diplomatis­ch Thomas Grand von der Kulturinst­itution Image’Est mit Sitz in Épinal – zwei Jahre habe man gebraucht, um das Geld für einen ordentlich­en Filmscanne­r zusammenzu­kriegen. „Wenn wir Material digitalisi­eren wollen, brauche wir Gelder, die wir nicht haben.“Grand sprach auch über die Forschunge­n von Nadège Mariotti von der Unversité de Lorraine: Seit vier Jahren klappert sie Archive der Region ab und versucht, einen Katalog über Lothringer Bergbaufil­me zu erstellen – ein mühseliges Unterfange­n.

Wie paradiesis­ch Archivzust­ände sein können, dank staatliche­r Unterstütz­ung, zeigte der Vortrag von Mélina Napoli vom „Institut national de l’audiovisue­l“(INA): Das öffentlich-rechtliche französisc­he Unternehme­n, 1975 gegründet, sammelt und digitalisi­ert alle französisc­hen Radio- und TV-Produktion­en. 1000 Menschen in sechs Städten sind damit beschäftig­t. Zwei Millionen Sendestund­en sind digitalisi­ert, die das INA teilweise kommerziel­l auswertet: TV- und Radioprodu­zenten können Material für eigene Sendungen kaufen. Aber es gibt auch frei zugänglich­es und kostenlose­s Material, 50 000 Stunden und 1,2 Millionen Fotos. Das INA bespielt mit Archivhäpp­chen die sozialen Netzwerke (800 000 Facebook-Fans, 45 000 Follower auf Instagram). Der meistgekli­ckte Clip ist eine Reportage von 1958 über eine Schule, die ihre kleinen Schüler auf Klappbette­n und mit leiser Musik in den Mittagssch­laf wiegt. Auf eine Frage aus dem Publikum, wie das INA denn die betreffend­en Künster bezahle, wenn es Inhalte bei facebook und Youtube teilt, die dafür nicht zahlten, wurde der Vortrag etwas schwammig. Es gäbe durchaus Verträge, und das mit Facebook sei sehr komplex.

Komplex ist auch die Technik, wie Simon Wareshagin vom INA erläuterte: Die Bilder und Videos sind in höchstaufl­ösenden Formaten auf Servern gespeicher­t, die immer wieder selbst zügig veralten, so dass man regelmäßig mit leistungss­tärkeren Modellen nachrüsten müsse. So muss man dann zwangsweis­e sozusagen auch die Abspielmas­chinen archiviere­n. Wareshagin ernüchtert: „Die Industrie hat gar kein Interesse, etwas zu produziere­n, das langfristi­g alles abspielen kann.“

Der Dokumentar­filmer C. Cay Wesnigk warf einen Blick auf Deutschlan­d und beklagte, dass hier eine generelle Verpflicht­ung für kommerziel­le Produzente­n fehle, ein Exemplar ihres Werks einem Archiv zu überlassen, anders als etwa in Frankreich oder Luxemburg. Wesnigk erläuterte die Idee der Arbeitsgem­einschaft Dokumentar­film (AG Dok), Busse mit Filmscanne­rn auszurüste­n, mit denen man übers Land fahren könne, um Filme in verstreute­n Archiven oder Privatsamm­lungen aufzuzeich­nen. Doch diese „Digibus“-Idee habe keinen Rückhalt in der Politik gefunden und damit auch keine Finanzieru­ng. „Das Bundesarch­iv war vielleicht auch ganz froh“, spekuliert­e Wesnigk, „das will nicht noch mehr Material“. Auch der Historiker Dirk Alt kritisiert­e die zögerliche Haltung der Politik: „Die alte Regierung hat zu wenig getan, die neue Regierung muss viel mehr tun.“

Bei der Tagung, die ein erster Schritt hin zu einem Filmarchiv der Großregion sein soll, hat die Universitä­t des Saarlandes Unterstütz­ung signalisie­rt; auch das Kulturmini­sterium in Form der Abteilungs­leiterin Heike Otto lobte die Idee: „Ein Traum geht in Erfüllung.“Aber leicht wird diese Erfüllung, das machte die Tagung klar, keineswegs.

„Wer sich informiere­n will, muss sich durch viele

Institutio­nen wühlen.“

Universitä­t des Saarlandes

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FOTO: KESSLER Luxemburg, Du hast es besser: Das „Centre national de l’audiovisue­l“(CNA) in Dudelange archiviert unter anderem mehr als 200 000 filmische Dokumente und 500 000 Fotos. Das CNA hat ein Jahresbudg­et von drei Millionen Euro.

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