Bürgermeister (92) erwägt in Rheinland-Pfalz neue Kandidatur
Josef Rüddel ist Deutschlands ältester Bürgermeister. Das Amt hat fit gehalten. Er regiert ohne Computer – und schließt eine erneute Kandidatur nicht aus.
(dpa) Als Konrad Adenauer geht, kommt Josef Rüddel. 1963, im letzten Amtsjahr des ersten Bundeskanzlers, wird der Landwirt Bürgermeister von Windhagen im Kreis Neuwied. Seitdem regiert Rüddel sein Dorf, das direkt an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen liegt, ununterbrochen bis heute, 54 Jahre lang. Damit ist der 92-jährige Christdemokrat höchstwahrscheinlich Deutschlands dienstältester und auch ältester Bürgermeister. „Das ist mit großer Sicherheit so“, sagt Alexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund in Berlin. Rüddel ist bis 2019 gewählt – und schließt nicht aus, dann mit 94 Jahren erneut anzutreten: „Schau’n mer mal.“
Weiße Haare, wache, blaue Augen, olivgrüner Pulli: Rüddel erzählt lebendig von längst vergangenen Jahrzehnten. 1955 wird er als 30-jähriger Bauer in den Gemeinderat von Windhagen im Westerwald gewählt. „Damals habe ich auch Adenauer mit meinen Kartoffeln beliefert. Er hat ja ganz in der Nähe in Rhöndorf (in Nordrhein-Westfalen) gewohnt“, berichtet Rüddel. „Adenauer hat mich mit ‚Guten Morgen’ begrüßt, ist aber auch schon frühmorgens abgeholt worden.“1963 stirbt Windhagens damaliger Bürgermeister Josef Heuser. Rüddel wird zum Nachfolger gekürt – und seitdem nach eigenen Worten stets mit mehr als 60 Prozent im Amt bestätigt.
Der 92-jährige ehrenamtliche Ortsbürgermeister regiert bis heute von seinem Wohnzimmer aus. „Ich habe keinen Computer, aber seit ein paar Jahren ein Handy“, sagt Rüddel. Mitunter muss er Mitglieder seines Gemeinderats tadeln: „Die schreiben sich mit dem Handy unterm Tisch Nachrichten.“Dabei habe er selbst die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit noch ganz ohne Telefon auskommen müssen. Immerhin habe er damals schon ein Auto gefahren: ein Goggomobil Coupé.
„Anfangs waren wir arm wie Kirchenmäuse“, erzählt Rüddel. „Auch bei uns ist der Krieg drübergegangen.“Die schon in der NS-Zeit gebaute A3, eine der wichtigsten deutschen Autobahnen, beschert der direkt angrenzenden Gemeinde Windhagen in der Nachkriegszeit einen Aufschwung. Bedeutende Firmen siedeln sich hier verkehrsgünstig an. Das Foto-Unternehmen Agfa ist inzwischen wieder verschwunden, aber der weltweit aktive Baumaschinen-Hersteller Wirtgen ist noch da – er wird laut Rüddel nun vom US-Traktorbauer John Deere für mehr als vier Milliarden Euro geschluckt.
Kein Wunder, dass die Gewerbesteuer in der schuldenfreien Ortsgemeinde Windhagen sprudelt. Jährlich rund 20 Millionen Euro sind es nach Rüddels Worten in der jüngeren Vergangenheit gewesen. „2017 wird es vermutlich noch mehr sein.“
Der 92-jährige Bürgermeister lächelt verschmitzt in seinem weißen alten Fachwerkhaus mit den gediegenen Möbeln. Seine grau-schwarz gestreifte Katze „Mäuschen“tigert vorbei. Die Haustür geht auf und sein Sohn Erwin Rüddel (61), Bundestagsabgeordneter, tritt herein. „Ich bin stolz auf meinen Vater“, sagt
„Den 100-Jährigen
gratuliere ich zum Geburtstag. Das gibt mir Auftrieb.“
Josef Rüddel (92)
Bürgermeister
er. Rüddel senior habe ihn motiviert, in die Politik zu gehen. Auch Erwin Rüddels Sohn Alexander (33) ist politisch aktiv. Alle drei Generationen Rüddel sitzen im Gemeinderat von Windhagen, alle drei sind Christdemokraten.
Die meisten der rund 4300 Einwohner von Windhagen haben nie einen anderen Bürgermeister kennengelernt. Mario Niederelz aus dem nahen Linz, Mitarbeiter der Firma Wirtgen, sagt: „Das ist bewundernswert, dass sich Herr Rüddel in so hohem Alter noch so sehr engagiert.“
Der Bürgermeister ist dreifacher Vater, siebenfacher Großvater und zweifacher Urgroßvater. Vor drei Monaten hat er einen Schicksalsschlag hinnehmen müssen: Seine geliebte Frau Margarethe, „das Gretchen“, ist gestorben, nach mehr als sechs Jahrzehnten Ehe. Rüddels Schwiegertochter Elke sagt, es sei gut, dass ihn nun seine Arbeit als Bürgermeister etwas ablenke.
Alles ist relativ: In Windhagen wohnen laut Josef Rüddel auch ein paar Hundertjährige. „Denen gratuliere ich zum Geburtstag. Das gibt mir Auftrieb.“In seinem Dorf hat Rüddel auch schon manche Promis bei anderen Bürgern kennengelernt: „Der Schriftsteller ( Johannes Mario) Simmel war mal hier. Und auch der Dalai Lama ist auf Privatbesuch gekommen.“Das im Exil lebende religiöse Oberhaupt der Tibeter in einem Westerwalddorf? „Das wollten meine Bürgermeister-Kollegen erst gar nicht glauben“, lacht Rüddel.