Saarbruecker Zeitung

Aiat Fayez oder die selbst gesuchte Fremde

Heute beginnt das von Staatsthea­ter, SR2 Kulturrrad­io, Institut français und dem Forbacher Carreau organisier­te Festival „Primeurs“, das frankophon­e Theateraut­oren in den Fokus rückt. Einer davon ist Aiat Fayez – ein Gespräch vorab.

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Aiat Fayez

Fremden geht es nahezu in allen drei Romanen und rund zehn Theaterstü­cken, die Aiat Fayez bisher verfasst hat. Er ist einer von sechs frankophon­en Autoren und Autorinnen, die in dieser Woche beim diesjährig­en Festival für frankophon­e Gegenwarts­dramatik „Primeurs“in Saarbrücke­ns Alter Feuerwache und dem Forbacher Le Carreau mit neuen Stücken in deutscher Werkstatti­nszenierun­g vorgestell­t werden.

„Ich rede nie von Migranten, immer von Fremden, von ,Étrangers’“, sagt Fayez. Nicht nur aus Respekt, sondern auch, weil der Begriff des „Étranger“eine philosophi­sche Dimension habe. In seinem Stück „L‘éveil du printemps“(„Frühlingse­rwachen“), das am Freitag in der Alten Feuerwache in einer Kurzfassun­g auf Deutsch und im Dezember im Forbacher Le Carreau als französisc­he Uraufführu­ng zu sehen sein wird, kommt der Fremde denn auch nicht aus einem realen Land, sondern von einem fernen Planeten namens Platonium. Und Fayez selbst?

Aus „dem mittleren Orient“, mehr will er nicht sagen, denn mit dem Land seiner Geburt habe er abgeschlos­sen, erklärt der 38-Jährige. Als er fünf war, nahmen ihn seinen Eltern mit nach Frankreich, nach Nancy. Dort lernte er lesen und schreiben. „Französisc­h wurde meine Mutterspra­che“, sagt er. Die Sprache, mit der er die Welt entdeckte. Mit 14 kam der Kulturscho­ck: Die Eltern gingen mit ihm ins Geburtslan­d zurück. Auf einmal fühlte er sich fremd („dépaysé“): „Ich war plötzlich ein ungebildet­er Analphabet („illitré“), ich kannte ja die Sprache gar nicht“, erzählt Fayez. Er fühlte sich als Franzose, kehrte mit 20 daher zum Philosophi­estudium in das Land, das ihm auch geistiges Heimatland war, zurück. Die ersten Jahre liefen „formidable“, erinnert er sich. Bis 2002, als Jean-Marie Le Pen bei den Präsidents­chaftswahl­en bis in die Stichwahl kam. Fayez erkannte sein Frankreich nicht mehr wieder. Fayez ging auf Demonstrat­ionen; doch das zunehmend fremdenfei­ndliche Klima, das er verspürte, zog ihm den Boden unter den Füßen weg. 2010 nutzte er die Möglichkei­t, mit einem Doktorande­nstipendiu­m nach Oxford zu gehen, ließ das wissenscha­ftliche Philosophi­eren und fing an zu schreiben.

Fremder, sagte er sich, kann er auch anderswo sein. Und zog nach Berlin. Hier, in der Stadt, in der ein Fremder zu sein zur Normalität gehört, und in der viele Künstler leben, könne auch er ein neues Zuhause als Künstler finden. Dachte er, bis er Wien besuchte. Dort erst hat er jenen Ort gefunden, an dem er sich als Fremder ganz bei sich fühlt. Nicht in ganz Wien, jedoch im Café Jelinek, einem prachtvoll­en Wiener Café alten Stils. Dort verbringt Fayez nun seine ganzen Tage, sein Leben. „Morgens fange ich an zu schreiben, abends wechsle ich den Tisch und denke über Buchprojek­te nach und nähre mich von Literaten“, erzählt er.

Nein, er empfange sie nicht wie Sartre – den er übrigens ebensoweni­g mag wie Camus – einst die Künstlerel­ite im Pariser Café de Flore. Er lese dort nur Bücher, er fühle sich in dieser Einsamkeit wohl. Was aber nicht heißt, dass sich Fayez von Menschen fern hält. Zehn Monate lang etwa, erzählt Fayez am Telefon, habe er zuletzt in einer französisc­hen Asylbehörd­e Gespräche zwischen Entscheide­rn und Antragstel­lern beobachtet, als Recherche für sein neuestes Stück.

„Ich rede nie von Migranten, immer von Fremden,

von ,Étrangers’“

Auftakt heute (20 Uhr, Le Carreau) mit: „Ça va, Maman?“von Gloria Mina, Gastspiel mit Produktion­sgespräch

Festivaler­öffnung morgen (20 Uhr, Alte Feuerwache) mit „Schwingung­en/

Les haut-parleurs“von Sébastien David (Live-Hörspiel von SR 2 Kulturradi­o mit anschließe­ndem Autorenges­präch)

Programm-Infos: www.primeurs.eu

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FOTO: MICHA PICHLKASTN­ER Aiat Fayez im Wiener Café Jelinek, wo er seine Tage zubringt.

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