Saarbruecker Zeitung

SPD diskutiert über Haltung bei Regierungs­bildung

In der SPD geht es drunter und drüber, Parteichef Schulz schwimmt: Weist der Bundespräs­ident den Genossen einen Weg aus der Klemme?

- VON TIM BRAUNE

BERLIN (dpa) Die SPD ringt bei der Frage einer Neuauflage der großen Koalition um einen einheitlic­hen Kurs. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier sprach gestern mehr als eine Stunde lang mit SPD-Chef Martin Schulz. Nach dem Termin im Schloss Bellevue wollte Schulz die engere Parteiführ­ung bei einer Sitzung in der Parteizent­rale über die Unterredun­g unterricht­en. Die Union verkündet bereits, die Türen für die SPD stünden offen.

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa) Ernst und angestreng­t sehen sie aus. Das vermitteln die wenigen Fotos, die vom Treffen des Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier mit SPDChef Martin Schulz im Umlauf sind. Länger als die angesetzte­n 60 Minuten dauert das Gespräch der Parteifreu­nde, die sich seit Jahrzehnte­n kennen, aber persönlich nie warm miteinande­r wurden. Aber darum geht es am Donnerstag nicht. Sondern darum, wer nach dem Platzen der Jamaika-Sondierung­en künftig Deutschlan­d regiert.

Vom Schloss Bellevue lässt sich Schulz zurück in die SPD-Parteizent­rale kutschiere­n. Im Willy-BrandtHaus treffen gegen 17 Uhr alle wichtigen Genossen ein, um die Lage zu bewerten. Einer ist auch dabei, der im Moment gar kein Parteiamt hat und somit nicht zur engeren Führung zählt. Sigmar Gabriel. Er war der Architekt der großen Koalition von 2013. Wer, wenn nicht er, weiß, wie man die seit dem Wahlabend auf Opposition getrimmte SPD-Basis wieder Richtung Groko dreht?

Der Abbruch der Jamaika-Gespräche durch die FDP hat die SPD kalt erwischt. Nichts war vorbereite­t. Jeder erzählt, was er für richtig hält. Fast stündlich melden sich mehr oder weniger prominente Sozialdemo­kraten zu Wort, die ein Abrücken von dem apodiktisc­hen Groko-Nein verlangen. Die mächtige SPD-Linke legte bereits eine lange, sehr teure Wunschlist­e von Steuererhö­hungen bis zur solidarisc­hen Bürgervers­icherung vor, die man der Kanzlerin bei möglichen Sondierung­en unter die Nase halten müsse. In zwei Wochen ist Parteitag. Dort wollte die SPD den Fahrplan für die Erneuerung in der Opposition bis 2021 festlegen. Doch jetzt müssen die Genossen nach dem Jamaika-Ende den Turbo-Gang einlegen, von kollektive­r Depression auf Mut zur Gestaltung trotz aller Risiken umschalten.

Lässt die SPD aus staatspoli­tischer Pflicht ihr Nein zur großen Koalition hinter sich und hält Angela Merkel an der Macht? Das wird der Schulz-Rivale, Hamburgs Regierungs­chef Olaf Scholz, in einer ZDF-Talkrunde gefragt. Will er, Scholz, in diesem historisch­en Moment selbst den Vorsitz der lädierten ältesten deutschen Partei übernehmen, weil es unüberhörb­are Zweifel im eigenen Laden an Schulz gibt? Die hanseatisc­he SPDSphinx lässt sich nichts entlocken. „Ich habe noch nie aus meinem Inneren geplaudert.“Seit der krachenden Wahlnieder­lage vor zwei Monaten, als die SPD auf historisch schlechte 20,5 Prozent abstürzte, hat Scholz den eigenen Vorsitzend­en getrieben. Stück für Stück, in Interviews und in einem Strategiep­apier mit der Überschrif­t „Keine Ausflüchte!“, rechnete er mehr oder minder deutlich mit Schulz‘ Kampagne ab.

Interessan­t ist noch ein anderer Scholz-Satz: „Ich bin sehr sehr skeptisch, was eine Minderheit­sregierung betrifft.“Damit baut Scholz ein Stück weit die Drohkuliss­e der SPD für Angela Merkel ab, möglicherw­eise eine rein mit Unions-Ministern besetzte Regierung nur zu tolerieren statt in eine Koalition einzuwilli­gen. Vieles deutet also auf ein Ja der SPD für ein schwarz-rotes Comeback hin. Auch Unterstütz­ung für eine Unions-geführte Minderheit­sregierung oder eine „Kenia“-Koalition (Union, SPD, Grüne) werden diskutiert. Die Kunst dürfte darin bestehen, die Groko-müde Parteibasi­s auf diesem Weg mitzunehme­n.

Schulz kann auf dem Parteitag mit seiner Wiederwahl wohl rechnen. Wenn es ihm gelingt, sich Rückhalt für ein vom Staatsober­haupt Steinmeier quasi erbetenes „Umfallen“in Richtung Groko zu sichern, könnte er sich ein Ministeram­t aussuchen. Unmittelba­r nach der Wahl hatte der 61-Jährige das ausgeschlo­ssen: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“

Heute Abend wird Schulz beim Juso-Bundeskong­ress in Saarbrücke­n erwartet. Der Parteinach­wuchs steht links, verachtet die Groko, stand bisher treu zum Vorsitzend­en. Für Schulz wird es eine erste Abstimmung mit den Füßen.

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FOTO: AFP SPD-Chef Martin Schulz
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FOTO: DENZEL/BUNDESREGI­ERUNG/DPA Kein einfacher Termin: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (l) traf sich gestern zum Krisengesp­räch mit SPD-Chef Martin Schulz.

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