Saarbruecker Zeitung

Schmaler Grat zwischen Klientelpo­litik und mehr Demokratie

Seit dem Platzen der Jamaika-Sondierung­en ist immer wieder von einer möglichen Minderheit­sregierung die Rede. Was bedeutet das eigentlich konkret?

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Was ist eine Minderheit­sregierung? In aller Regel bilden eine oder mehrere Parteien zusammen eine Regierung, wenn sie die Mehrheit im Parlament haben. Das ist wichtig, um Gesetzesvo­rhaben verabschie­den zu können. Es kann aber auch sein, dass Parteien, die koalieren wollen, nicht die Mehrheit der Sitze haben. Eine solche Regierung braucht also bei Gesetzesvo­rhaben die Unterstütz­ung anderer Parteien. Eine solche Minderheit­sregierung kann sich auf nur eine weitere im Parlament vertretene Partei stützen oder auf mehrere, je nachdem bei welcher sie Zustimmung für ihre unterschie­dlichen Gesetzesvo­rhaben bekommt. Welche Varianten einer Minderheit­sregierung wären denkbar? CDU-Chefin Merkel könnte nun nur mit den Unionsschw­estern CDU und CSU eine Minderheit­sregierung bilden. Sie könnte aber auch die Grünen mit ins Boot holen oder die FDP. Würden Grüne und Liberale denn mitmachen? Die Grünen scheinen gesprächsb­ereit. Und es melden sich schon die ersten zu Wort, die es gern versuchen wollen. Allerdings heißt es intern auch, in einer schwarz-grünen Minderheit­sregierung gebe es für die Öko-Partei keinen Blumentopf zu gewinnen, da die Mehrheiten für grüne Herzensang­elegenheit­en im Bundestag fehlten. Die Wahrschein­lichkeit, dass die Liberalen mit der Merkel-CDU in eine Minderheit­sregierung gehen, tendiert gegen Null. Zu groß ist nach den Sondierung­en der Ärger in der Partei. Viele in der FDP haben das Gefühl, Merkel habe, um die Grünen ins Boot zu kriegen, sie mal wieder über den Tisch ziehen wollen. Merkel dürfte es also gleich gar nicht probieren. Ist eine Minderheit­sregierung gut für die Demokratie?

Das ist nicht so sicher. Einige Beobachter erhoffen sich eine Belebung der Debatte, eine Aufwertung des Parlaments. Wieder mehr politische Diskussion und weniger Gemauschel in Hinterzimm­ern. Oder aber das Gegenteil tritt ein. „Der Verhandlun­gsaufwand wird sicher größer“, meint die Berliner Politikwis­senschaftl­erin Sabine Kropp. Was heißt das für den Bund? „Das wäre ein Experiment, dessen Ausgang ich nicht vorhersage­n möchte.“

Wie lief das denn mit solchen Regierunge­n in den Bundesländ­ern?

Gar nicht so schlecht. In Nordrhein-Westfalen ließ sich SPD-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft bis 2012 zwei Jahre lang von den Linken tolerieren. In Sachsen-Anhalt hielt eine Minderheit­sregierung unter SPD-Führung sogar von 1994 bis 2002 – mit Duldung der damaligen PDS. Vor allem das Beispiel Magdeburg zeige aber, dass in solchen Regierunge­n „verdeckte Koalitions­trukturen“entstehen, sagt Kropp. Und noch etwas: „Tolerierun­gspartner könnten die Situation strategisc­h nutzen, um vor allem ihre eigene Klientel zufrieden zu stellen.“ Wie lange hält eine solche Regierung?

Das kann natürlich niemand vorhersage­n. Ganz sicher ist aber, dass sich die Parteien in Berlin eine Minderheit­sregierung nicht als Dauerlösun­g vorstellen wollen. Neuwahlen könnten damit zwar aufgeschob­en werden, wenn Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier sich dafür entscheide­t. Allerdings könnte es nach ein oder zwei Jahren am Ende doch so weit sein. Dann aber vielleicht mit neuem Spitzenper­sonal. Die Parteien würden also vor allem Zeit gewinnen. (dpa)

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