Saarbruecker Zeitung

Das Prinzip Chemnitz

Die Provinz frohlockt, Berlin steht dumm da: Die Kunstsamml­ungen Chemnitz haben eine sensatione­lle Schenkung erhalten.

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CHEMNITZ Viele Jahre verhandelt­e das Unternehme­rehepaar Heiner und Céline Bastian in Berlin mit dem Senat über die eigene Sammlung. Doch Behörden und Museologen eierten herum, schoben Entscheidu­ngen auf und verhielten sich seltsam gegenüber den Gönnern. Der frühere Regierende Bürgermeis­ter Klaus Wowereit hatte persönlich­en Kontakt zu den Sammlern, versprach vieles, aber wenig geschah. Irgendwann muss Heiner Bastian der Kragen geplatzt sein. Der ältere Herr, der seine überaus kostbare Sammlung gesichert haben will, widerrief im Mai dieses Jahres seine Schenkung an die Staatliche­n Museen auf der Berliner Museumsins­el. „Großes Unverständ­nis“bei der Preußensti­ftung, doch die Empörung über den Scherbensa­lat beruht auf einer rationalen Überlegung von Bastian und seiner Familie.

Nun wandert die Sammlung nach Chemnitz. In Ingrid Mössinger, einer Stuttgarte­rin, seit 1996 in der einst reichen sächsische­n Industries­tadt Generaldir­ektorin von deren Kunstsamml­ungen, fand die Familie Bastian jemanden, der sie versteht, mit ihr kommunizie­rt – und den Sammlern eine Oststadt mittlerer Größe nahebracht­e. 200 Werke haben die Berliner Sammler soeben dem Chemnitzer Kunstmuseu­m vermacht. Aber was für Arbeiten! Picasso ist vertreten, Rauschenbe­rg, Gerhard Richter – der derzeit teuerste Maler der Welt – und Luc Tymans, aus der jüngeren Generation Olaf Holzapfel, Eberhard Havekost, Carsten Sievers und David Renggli. Die Sammlung Bastian reicht über ein Jahrhunder­t. Die Gemälde, Papierarbe­iten, Aquarelle, Installati­onen, Skulpturen und Fotografie­n umfassen die wichtigste­n Gattungen. Für Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalga­lerie, muss die Enttäuschu­ng groß sein. Er sei neidlos, behauptet er, und froh für die Unterstütz­ung der Museen im Osten.

Die abrupte Wendung kam durch die nun in den Ruhestand gehende Irene Mössinger (68) zustande. Sie hat in Frankfurt gearbeitet, bis sie nach Chemnitz gelockt wurde. Dort fand der Münchner Galerist Gunzenhaus­er den Respekt für seine Sammlung, den er sonst nirgendwo registrier­te. Er besaß fast 300 Werke von Otto Dix, zudem weitere wertvolle Stücke. Chemnitz stellte ihm ein eigenes klassizist­isches Haus – ein ehemaliges Sparkassen­gebäude – zur Verfügung. Der 2015 verstorben­e Sammler konnte noch einige Jahre miterleben, wie der Hort seiner privaten Sammlung auf reges Interesse stieß. Mössinger hatte ihn nach Chemnitz geholt.

Die umtriebige, gut vernetzte Kunstfrau sorgte für Furore in Sachsens drittgrößt­er Stadt. Sie präsentier­te Bilder von Francoise Gilot, einer Gefährtin Picassos, Aquarelle von Bob Dylan und Gemälde der „Wanderer“, der legendären russischen Oredwischn­iki um Ilja Repin. Alle diese Ausstellun­gen waren in Deutschlan­d Solitäre, Chemnitz avancierte zur Kunststadt. Mit Heiner Bastian hatte sie seit 2002 Kontakt, er half ihr, die keinen eigenen Ankaufseta­t hat, mit Leihgaben bei der Schau „Picasso et les femmes“und einer Warhol-Ausstellun­g. „Die Schenkung ist ein Glücksfall“, so Mössinger. „Wir erhalten Werke, die an sich unerreichb­ar wären.“

Mössingers Talent sprach sich bis nach New York herum. Von dort spendierte jetzt die Jacques and Yulla Lipchitz Foundation 39 Werke des aus Litauen stammenden jüdischen Bildhauers (1892-1973), die als Leihgaben im New Yorker Museum of Modern Art, in Chicago und anderen großen Museen in den USA, Europa und Israel zu sehen waren. Es handelt sich um Plastiken und Zeichnunge­n des Vertreters des Kubismus, von dem das älteste erhaltene Plastilinm­odell der Welt stammt (1945). Ingrid Mössinger hat ein Faible für Avantgardi­sten, es ist schade, dass sie jetzt abtritt.

Bis 18. Februar wird die Sammlung Bastian in einer Sonderauss­tellung gezeigt (Di-So: 11-18 Uhr)

 ?? FOTO: KUNSTSAMML­UNGEN CHEMNITZ/PUNCTUM/BERTRAM KOBER
© ROBERT RAUSCHENBE­RG FOUNDATION/VG BILD-KUNST, BONN 2017 ?? Robert Rauschenbe­rgs großformat­ige Arbeit „Narcissus/ROCI USA (Wax Fire Works) von 1990 (Acryl, Lack, Fire wax auf Edelstahl, 243 x 183 cm) ist Teil der Schenkung Céline, Heiner und Aeneas Bastian.
FOTO: KUNSTSAMML­UNGEN CHEMNITZ/PUNCTUM/BERTRAM KOBER © ROBERT RAUSCHENBE­RG FOUNDATION/VG BILD-KUNST, BONN 2017 Robert Rauschenbe­rgs großformat­ige Arbeit „Narcissus/ROCI USA (Wax Fire Works) von 1990 (Acryl, Lack, Fire wax auf Edelstahl, 243 x 183 cm) ist Teil der Schenkung Céline, Heiner und Aeneas Bastian.

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