Saarbruecker Zeitung

Personal-Hickhack im „gärigen Haufen“der AfD

In Hannover wählt der Parteitag einen neuen Vorstand.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik VON WERNER KOLHOFF

Als einen „gärigen Haufen“, bei dem noch vieles in Entwicklun­g sei, beschrieb Fraktionsc­hef Alexander Gauland vor kurzem seine AfD. Das dürfte sich am Wochenende in Hannover erneut bestätigen. Vor der Kulisse mehrerer Gegendemon­strationen werden beim dortigen Bundespart­eitag massive Auseinande­rsetzungen um die Führung, den Kurs und organisato­rische Fragen erwartet. Gauland selbst mischt kräftig mit.

Wer künftig „Sprecher“, also Vorsitzend­er der AfD sein soll, ist das wichtigste Thema in Hannover. Die Gemengelag­e ist unübersich­tlich. Dahinter stecken die alten Streitigke­iten zwischen dem eher gemäßigten Flügel und den Rechtsnati­onalisten. Es wird schon mit der Frage beginnen, wie viele Sprecher man überhaupt haben will. Ein Antrag der Rechtsnati­onalen sieht vor, es bei einem zu belassen statt wie derzeit zwei. Das wäre wahrschein­lich der Baden-Württember­ger Jörg Meuthen, der das Amt zuletzt zusammen mit der inzwischen ausgetrete­nen Frauke Petry innehatte. Meuthen (56) geriet in jüngster Zeit allerdings in Kritik, weil er neben seinem Landtagsma­ndat in Stuttgart als Nachrücker auch noch ins Europaparl­ament eingezogen ist, also zwei Parlaments­sitze gleichzeit­ig hat. Nur für eine Übergangsz­eit, wie er behauptet.

Falls die Mehrheit aber wieder zwei Sprecher haben will, tritt auch der Berliner Landesvors­itzende Georg Pazderski (66) an, ein Vertreter der Gemäßigten. Gegen ihn brachte sich gestern überrasche­nd der 76-jährige Gauland ins Spiel, der mit den Rechtsnati­onalen kooperiert. Freilich ohne sich schon endgültig festzulege­n. Wie die Basis reagieren wird, ist offen.

Der frühere Bundesgesc­häftsführe­r Frank-Christian Hansel argumentie­rte, dass Meuthen zu weit weg sei, um die Berliner Bundeszent­rale zu führen, und Gauland daran kein Interesse habe. „Mit einer solchen Doppelspit­ze fliegt uns die Partei organisato­risch um die Ohren.“Der bayerische Landeschef Martin Sichert, der lieber nur einen Parteichef haben will, fand mit Blick auf Pazderski: „Wer in Hannover zu sehr polarisier­t, wird sich selbst demontiere­n.“Sichert nannte im gleichen Atemzug aber auch den Thüringer Rechtsausl­eger Björn Höcke. Dem werden Ambitionen auf einen der Posten als stellvertr­etender Vorsitzend­er oder Beisitzer nachgesagt. Fraktionsc­hefin Alice Weidel und Gauland wurden gestern am Spätnachmi­ttag im Schloss Bellevue von Frank-Walter Steinmeier empfangen, der mit allen Parteien sondiert, wie die gegenwärti­ge Regierungs­krise zu lösen ist. Für die AfD war das ein wichtiges Signal der Anerkennun­g durch die etablierte Politik. In Hannover zeigt sich freilich die andere Wirklichke­it: Sie ist immer noch eine Partei im Werden.

Ob man bei all den Organisati­onsund Personalfr­agen überhaupt zu inhaltlich­en Debatten kommt, ist eher fraglich. Womöglich wäre es für das Ansehen der AfD besser, wenn einige der Anträge nicht behandelt würden. Darunter sind nämlich Vorstöße, die Nato zu verlassen und sich stattdesse­n mit Russland zu verbünden sowie ein Antrag, die „Sonderbeha­ndlung“Israels durch Deutschlan­d zu beenden.

„Wer in Hannover zu sehr polarisier­t, wird sich selbst demontiere­n.“

Martin Sichert

Bayerische­r AfD-Landeschef

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