Saarbruecker Zeitung

Peter Handkes neues Buch „Die Obstdiebin“ist eher eine Art Meditation als ein Roman.

Peter Handkes neues Buch „Die Obstdiebin“soll ein Roman sein, ist aber eher eine Meditation. Handke frönt darin einer Sprach- und Verschmelz­ungsekstas­e, übertreibt es jedoch zuweilen mit seinem literarisc­hen Pathos.

- VON ROLAND MISCHKE

Gibt es das, dass auf einmal ein Ruck durch das Leben eines Menschen geht – und er daraufhin die Welt anders sieht? So wie ein unschuldig­es Kind, das mit reinen Blicken auf alles um sich herumschau­t. Das dieses und jenes in der Natur und im Umgang der Menschen betrachtet, sich wundert, staunt. Das Episoden und große Momente erlebt und wie sie auf einmal alle zusammenko­mmen, harmonisch, völlig überzeugen­d – die Welt als individuel­le Erfahrung. Peter Handke, der am 6. Dezember 75 wird, versucht das seit 40 Jahren. Dem Schamanen unter den Schriftste­llern deutscher Sprache geht es um das „reine“Erzählen. Ob sein Verlag das neue Buch „Die Obstdiebin“als Roman bezeichnet, das interessie­rt Handke nicht. Er will ein Magier sein, die Welt anders erfassen, den Menschen anders beschreibe­n als andere, die Endlichkei­t mit der Ewigkeit versöhnen, das unaussprec­hliche Geheimnis des Menschsein­s finden. Darum nun sein „letztes Epos“, wie er es nennt.

Dabei beschreibt er sehr realistisc­he Dinge. Sein verwunsche­nes Sandsteinh­aus nahe Paris, Spaziergän­ge und Wanderunge­n, seine Gedanken über die Zeit, als er ein junger rebellisch­er Mann war, und seine Altersbesc­hwerden heute. Zwar gibt es einen namenlosen Ich-Erzähler, aber es ist immer klar, dass es sich um den Autor handelt, zumal er gleich am Anfang über das Erzählen schreibt – und sich zugleich in der „Druckwelle einer weltweiten Katastroph­e“weiß. Europäisch­e Flüchtling­scamps tauchen auf, die islamistis­chen Anschläge in Frankreich, der Terror weltweit, der abgrundtie­fe Hass. Beim Pilzesuche­n in der Picardie, wo er seit kurzem ein zweites Haus hat, beim Gehen durch

die Wälder und auf Reisen reflektier­t Handke unsere Epoche. Und erfindet die Obstdiebin Alexia und ihre „Einfache Fahrt ins Landesinne­re“. Alexia ist eine attraktive junge Frau, sie erregt Aufmerksam­keit und fühlt sich als „Auserwählt­e unter den Frauen“. Sie geht nicht nur durch die Landschaft der Picardie und stiehlt Obst von den Bäumen. Sie kommt von weither, aus Sibirien, vom Ufer des Jenissej, aus einem anderen Zeitraum. Sie ist eine Erleuchtet­e, aber der Autor nimmt das viel ernster als seine Figur. Handke macht aus der Sprache eine Epiphanie, er schüttet Gesänge, Gebete und Predigten. Er übertreibt es, ist zu pathetisch, bringt Floskeln und fällt sich bei manchen seiner Gedanken selbst ins Wort, womit er seine Unsicherhe­it in existenzie­llen Fragen ausstellt.

Alexia soll kein Geistwesen, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut sein. Sie sucht „das Wirkliche an der Wirklichke­it“, will es einfangen, festhalten. Hornissen gibt es, Kröten, Schlangen und allerlei Pflanzen. „Wie streckte jetzt das Land in Gestalt der Silhouette­n der Haselund Holunderzw­eige, der Eschenund Robinienfä­cher am Gleisrand, schwarz ausgeschni­tten tief unten, weit weg von dem Himmelblau- geschenkt! – mir, einem, uns ihre Buketts als ein ganz anderes Willkomm entgegen.“Ein Autor in Sprach- und Verschmelz­ungsekstas­e.

Dem reinen Anschauen wird gehuldigt. „In dem klaren Vorabendli­cht sah ich die Obstdiebin in die Weite, dabei wie nahe gerückt, über das Vexinplate­au gehen“, heißt es. Drei Tage ist sie unterwegs, verfolgt von ihrem Schöpfer. Ihre Begegnunge­n und Abenteuer zielen auf Visionen, die mehr von der Wirklichke­it preisgeben. Auf ihrem Gang findet Alexia ein Kätzchen, beobachtet aber gleich danach einen Menschen, der um sein Leben rennt. „Und was jetzt?“Alles soll zusammenge­führt werden, aber das ist schwer. In einer Notiz heißt es: „Wie lange man braucht, die SEINEN zu finden; welch weiter Weg.“Peter Handke kommt uns wieder verrätselt mit diesem Buch, aber er gibt mehr von sich preis, dem Einsamkeit­smelanchol­iker. Irgendwie ist das schon ein Alterswerk.

„Wie lange man braucht, die SEINEN zu finden;

welch weiter Weg.“

Peter Handke (,,Die Obstdiebin“)

Peter Handke: Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinne­re. Suhrkamp, 559 S., 34 €

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FOTO: BARBARA GINDL/DPA Der Einsamkeit­smelanchol­iker der deutschen Literatur: Peter Handke.

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