Spielformen der Entfremdung
Die Iren von U2 verlieren auf „Songs Of Experience“zum zweiten Mal ihre Unschuld.
den Lyrics um Liebe und Tod, Trump und die Flüchtlingskrise.
„Let There Be Unity, Let There Be Community . . . For Refugees Like You And Me“(„Lasst Einheit herrschen, lasst Gemeinschaft herrschen . . . für Flüchtlinge wie dich und mich“), heißt es in „American Soul“, zu dem Rapper Kendrick Lamar das Intro spricht. Die USA seien kein Land, sondern eine Idee, ist da zu hören, ein Traum, der der ganzen Welt gehöre. Bei „Summer Of Love“singt Lady Gaga mit, ist aber zum Glück nicht zu hören. Mancher der 13 Songs hat Potential. Das von Synthesizer getragene „Love Is All We Have Left“, in dem Bono mit Auto-Tune-Effekt singt. Oder der letzte Track „13 (There Is A Light)“, der auf „Song For Someone“Bezug nimmt vom „Songs Of Innocence“-Album.
Im Stadion werden Slogans wie „You Are Rock ’n’ Roll“funktionieren. Auf dem Album aber zünden sie nicht. Die Musik kann sich nicht entscheiden, will den Fangeschmack bedienen und Neues wagen. The Edges Gitarre ist oft nicht zu hören. Drummer Larry Mullen Jr. zerschlägt so manchen Song wie „Lights Of Home“. Das Hauptproblem aber ist, dass das Album schlecht produziert wurde. Mit Ryan Tedder (One Republic), Andy Barlow (Lamb), Jacknife Lee, Jolyon Thomas und Steve Lillywhite hat sich die Band gleich fünf Produzenten ins Studio geholt. Ausdruck des Fehlens eines eigenen Konzepts. Und eine Strategie, die schon beim letzten Album danebenging. Damals zeigten erst die Demoversionen auf der Bonus-Disc, wie stark das Songmaterial war. Oft wären es Kleinigkeiten, mit denen sich aus einem ordentlichen Song ein starker hätte machen lassen. Bei „Landlady“(einer Liebeserklärung Bonos an Ehefrau Ali) etwa: Das sphärische Gitarrengeklitter des Hintergrundes lauter gedreht, wäre ein anderer Song daraus geworden. Auch die erste Single „You‘ re The Best Thing About Me“, von Steve Lillywhite in letzter Sekunde noch mal neu gemischt, wäre stimmiger, hätte er die Band dazu angehalten, noch mal über die Brücke zwischen Strophe und Refrain nachzudenken.
Schon das Album „Achtung Baby“(1991) irritierte die U2-Fans. Mit „Songs Of Experience“haben Bono und seine Bandkollegen nun zum zweiten Mal ihre Unschuld verloren. Ob das nun Konzept ist, oder nicht. Nur noch von „einstigen Rockhelden“zu sprechen und U2 das Ende zu prophezeien, wie das jetzt überall üblich ist, wäre unfair. Es ist allerdings auch unwahrscheinlich, dass das neue Album erst in Zukunft seine wahre Wertschätzung erfahren wird.
U2: Songs Of Experience (Island Records/ Universal)