Saarbruecker Zeitung

Neue Große Koalition braucht Zeit – und hat Zeit

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Danke an Frank-Walter Steinmeier, er hat die einfachste, aber auch schlechtes­te aller Lösungen erst einmal verstellt: Neuwahlen. So weit sind wir in Deutschlan­d mit unserer Parteiende­mokratie denn doch noch nicht herunterge­kommen, dass sich bei sieben Parteien im Bundestag nicht genügend fänden, die bereit wären, wenigstens darüber zu reden, ob sie gemeinsam regieren wollen. Ein Land, von dem Politiker (und Bürger) im Ausland nur träumen. Volle Kassen, brummende Wirtschaft, friedliche Nachbarn, allerdings etwas wohlstands­verwöhnte Zeitgenoss­en. Der Bundespräs­ident zwingt die Parteien von ihrer bloßen Bauchnabel­betrachtun­g mal abzulassen, die Augen zu heben und zu sehen: Dass Neuwahlen nur die Ränder stärken würden, dass sie das Ansehen der Demokratie und Deutschlan­ds insgesamt schwächen, dass sie im Übrigen wahrschein­lich nicht mal eine neue Lage bringen.

Etwas billig kommt jetzt die FDP weg, die eine Jamaika-Koalition aus reinem taktischen Kalkül verworfen hat. Ebenso die Linke, die, egal in welcher Konstellat­ion, immer Opposition sagt. Weil sie davon lebt. Die Wähler werden dieses Verhalten einmal beurteilen müssen.

Echt schwer wird es jetzt für die SPD. Dass sie nach der Wahl ihren Ausstieg aus der großen Koalition erklärte, war richtig, denn diese Große Koalition hatte gerade 14 Prozentpun­kte verloren. Aber gerade für die SPD als Volksparte­i gilt, wenn es darauf ankommt: Land vor Partei. Ihr Vorsitzend­er Martin Schulz hätte das wissen können, ja müssen, als Jamaika scheiterte, doch sein Reflex war auch nur parteipoli­tisches Ego. Nun ist er der schlechtes­te Kronzeuge, um seiner Basis zu erklären, warum sie die Biege machen soll. Und nicht mal Kabinettsm­itglied kann er mehr werden, weil dann alle sagen, es sei ihm nur darum gegangen.

Ein wichtiger Faktor ist jetzt die Zeit, und zwar für jeden denkbaren Ausgang. Es muss Zeit ins Land gehen und einige Inszenieru­ngskunst aufgewandt werden, damit die verunsiche­rte SPD-Basis diese Volte schluckt. Zum Spiel gehört, dass Schulz jetzt noch offen lässt, ob er über eine große Koalition oder eine Minderheit­sregierung verhandelt. Das Grundgeset­z ist an dieser Stelle aber auch für die SPD kein Wunschkonz­ert: Es liegt nach der Verfassung allein in der Macht von Angela Merkel – und des Bundespräs­identen –, ob es eine Minderheit­sregierung gibt. Es braucht auch Zeit, damit sich die angeschlag­enen Boxer im Ring erholen, neben Schulz, der den Parteitag vor sich hat, vor allem die CSU.

Rein technisch gesehen gibt es keinen Grund für übermäßige Eile. Noch gibt es ja die geschäftsf­ührende Regierung der großen Koalition. Und wirklich dringende Gesetze stehen nicht an. Zeit braucht übrigens auch die andere Lösung, die noch immer nicht ausgeschlo­ssen ist: Neuwahlen. Die Notwendigk­eit dafür muss sich aus dem Scheitern aller anderen Möglichkei­ten ergeben. Wenn das der Fall ist, werden es auch die Bürger akzeptiere­n. Aber erst dann.

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