Saarbruecker Zeitung

London und Brüssel kommen sich etwas näher

Bei den BrexitVerh­andlungen lag gestern eine Sensation in der Luft. Für einen Durchbruch aber reichte es dann doch nicht.

- VON DETLEF DREWES

Dieser Montag hätte in die Geschichte des Brexit eingehen können. Seit dem Mittag lag in Brüssel eine Sensation in der Luft. Britische Medien überschlug­en sich bereits, weil Premiermin­isterin Theresa May angeblich mit einer faustdicke­n Überraschu­ng zum Mittagesse­n mit Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker angereist war. London gehe, so hieß es, praktisch auf alle EU-Forderunge­n ein. Sogar in der strittigen Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland, das zum Königreich gehört. Irgendein Spaßvogel beschrieb die Spannung am Nachmittag auf Twitter so: „Der Taoiseach (irische Premiermin­ister, Anm. d. Red.) wartet auf einen Anruf von Ratspräsid­ent Tusk. Tusk wartet auf einen Anruf von Juncker. Warum gründen die nicht eine WhatsApp-Gruppe?“

Doch daraus wurde nichts. Als May und Juncker schließlic­h vor die Presse traten und sich zunächst gegenseiti­g lobten, klang das zwar gut. „Sie ist eine harte Verhandlun­gspartneri­n“, sagte der Kommission­spräsident, was wohl so viel heißen sollte wie: Ich habe mich nicht durchgeset­zt. „Wir sind gut vorangekom­men und treffen uns Ende der Woche wieder“, meinte May, was ungefähr so viel bedeutet wie: Es wurde nichts erreicht.

Seit Freitag hatten Delegation­en aus London und Brüssel zusammenge­sessen. Offenbar wurde bei den beiden anderen offenen Fragen – die Rechte der in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger und die Schlussrec­hnung – große Fortschrit­te gemacht. „Ein Kompromiss ist in Reichweite“, sagte der Grünen-Fraktionsc­hef im EU-Parlament, Philippe Lamberts, schon am Morgen. Am morgigen Mittwoch will die Juncker-Behörde eine Empfehlung für den EU-Gipfel Ende nächster Woche abgeben. Dann müssen die 27 Staats- und Regierungs­chefs entscheide­n, ob das Ergebnis der Verhandlun­gen so zufriedens­tellend ist, dass die Phase zwei der Brexit-Gespräche beginnen kann: Großbritan­niens Zugang zum Binnenmark­t und die übrigen Beziehunge­n. Fest steht, dass es eine mehrjährig­e Übergangsp­hase geben soll. Das wollen beide Seiten, um Nachteile und Rückschläg­e für Wirtschaft und Handel zu vermeiden. „Außerdem wäre dann der Druck aus den Verhandlun­gen raus“, sagte ein hoher EU-Diplomat gestern in Brüssel.

Doch der Weg dahin scheint nicht einfach – zumal eine Einigung in Brüssel nur ein erster Schritt wäre. May braucht auch die Zustimmung zu Hause. Und die könnte mehr als schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden. Zu hart prallen in London die unterschie­dlichen Positionen aufeinande­r. In Brüssel wurde mit großer Aufmerksam­keit registrier­t, dass May selbst zum Gespräch mit Juncker anreiste und nicht Brexit-Minister David Davis. „Den haben wir hier schon seit Wochen nicht mehr gesehen“, betonte der EU-Vertreter. „Offenbar hat die Londoner Regierungs­zentrale inzwischen die Verhandlun­gen selbst in die Hand genommen und Davis beiseite gestellt.“Er gehört zu den innerparte­ilichen Rivalen von May.

Wie schwierig die Position der britischen Premiermin­isterin wirklich ist, offenbarte der gestrige Montag. Die Vertreter der Brexit-freundlich­en DUP aus Nordirland, die die May-Regierung im Unterhaus tolerieren, schäumten vor Wut über den angebliche­n Deal von Brüssel. Britische Medien bauten um die Gerüchte schon heftige Zukunftssz­enarien über einen Deal, den es am Ende gar nicht gab. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, obwohl noch nicht einmal klar wurde, was Juncker und May sowie Tusk eigentlich miteinande­r vereinbart haben. „Wir haben noch Zeit, um bis zum EU-Gipfel einen Durchbruch zu schaffen“, erklärte Juncker. Viel Hoffnung für so wenige Tage.

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FOTO: VIRGINIA MAYO/DPA EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und die britische Premiermin­isterin Theresa May traten gestern mit einem skeptische­n Blick vor die Presse. Einen Verhandlun­gs-Durchbruch gab es zuvor noch nicht.

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