Saarbruecker Zeitung

Schulz vor der Groko-Probe

Ganz Deutschlan­d und halb Europa schauen auf die SPD. Gibt der Parteitag grünes Licht für Gespräche mit der Union?

- VON TIM BRAUNE

(dpa) Dieses Parkett ist für Martin Schulz ungefährli­cher als der nahende Parteitag. Im Atrium des Willy-Brandt-Hauses sitzen prominente Sozialdemo­kraten aus ganz Europa. Schulz, der langjährig­e EU-Parlaments­chef, kennt sie alle. Fließend parliert er auf Französisc­h und Englisch, bittet um Verständni­s, dass er noch nichts aus seiner Parteitags­rede verraten kann und überhaupt gleich wieder weg muss. Die Welt und Europa seien zwar gerade in Unordnung: „Aber die SPD-Parteiführ­ung hat auch viel zu tun.“Das ist eine schöne Untertreib­ung.

Denn nicht nur die Republik, sondern halb Europa schaut heute auf die SPD. Rafft sich die malade 20-Prozent-Volksparte­i noch einmal in Richtung Groko auf? Oder wird sie nur eine Merkel-Minderheit­sregierung dulden in der Hoffnung, die ewige Kanzlerin werde dann im Bundestag endgültig aufgeriebe­n?

Auf dem Weg zum Lift schüttelt Schulz noch kurz Sigmar Gabriel die Hand. Der Außenminis­ter hat aufmerksam der Rede seines mächtig unter Druck stehenden Nachfolger­s an der Parteispit­ze gelauscht. Gabriel wäre für Schulz in diesen Stunden, wo in den oberen Etagen des Willy-Brandt-Hauses alle wichtigen Genossen über den Schlachtpl­an für den Parteitag reden, eigentlich der beste Ratgeber.

Gabriel gelang 2013 das Meisterstü­ck, die Groko-skeptische SPD nach einer Wahlkatast­rophe noch einmal in die große Koalition mit der Union zu führen. Doch die Lage jetzt ist eine andere. Gabriel konnte vor vier Jahren auftrumpfe­n, weil Peer Steinbrück als Kanzlerkan­didat die Wahl vergeigte. Die knapp 26 Prozent von damals hätte Schulz Ende September mit Kusshand genommen. Er lieferte nur desaströse 20,5 Prozent ab.

Seitdem ist das von Gabriel und Schulz früher stets als „freundscha­ftlich“beschriebe­ne Verhältnis stark abgekühlt. Nach dem Jamaika-Aus aber verbindet sie noch ein gemeinsame­s Ziel. Die SPD nun doch wieder in Regierungs­verantwort­ung zu bringen. Gabriel will als Minister, Schulz als Vorsitzend­er politisch überleben. So fällt auf, wie beide bei der Konferenz im Willy-Brandt-Haus die Errungensc­haften der SPD in der großen Koalition hervorhebe­n. „Die SPD kann stolz sein auf das, was sie in dieser Regierung geleistet hat“, sagt Schulz.

Auch Gabriel ruft den Groko-Gegnern in den eigenen Reihen durch die Blume zu, das Abschmelze­n der SPD-Prozente habe nichts mit der Zusammenar­beit mit der Union zu tun, sondern sei Folge der großen internatio­nalen Verwerfung­en wie dem Erstarken der Populisten.

Vieles wird heute von der Schulz-Performanc­e abhängen. Der Vorsitzend­e wird versuchen, in seiner Rede der Partei deutlich zu machen, dass Gestalten in dramatisch­en Zeiten von Brexit, Trump & Co. besser ist als in der Opposition zu schmoren. Auch wenn er am Wahlabend und direkt nach dem Jamaika-Ende das Gegenteil erzählte.

Schulz wird die Delegierte­n damit ködern, dass mit einem Ja des Parteitags keine Vorentsche­idung verbunden sei. Über harte Koalitions­verhandlun­gen mit der Union soll am 15. Januar ein kleiner Parteitag, über einen möglichen Vertrag sollen am Ende die Mitglieder abstimmen. Kritikern in der SPD ist das zu wenig. Sie fordern einen früheren Mitglieder­entscheid oder einen Sonderpart­eitag.

In der SPD-Spitze gibt es wichtige Persönlich­keiten wie Manuela Schwesig und Malu Dreyer, die mit einer neuen Groko wenig anfangen können. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Dreyer, die zu einer Bundesvize aufsteigen wird, wirbt massiv dafür, nur eine Minderheit­sregierung zu tolerieren.

Für die Parteitags­debatte über den Kurs der SPD sind mindestens vier Stunden angesetzt. Normalerwe­ise müsste Schulz – der die Rückendeck­ung wichtiger Landesverb­ände hat – eine Mehrheit für seinen Antrag bekommen, um nächste Woche mit den Unionsspit­zen unverbindl­ich zu reden. Aber normal ist in der tief verunsiche­rten SPD gerade nichts. Parteitage entwickeln oft eine eigene Dynamik. Und der Nachwuchs von den Jusos versucht alles, um eine Groko zu verhindern.

Nach den Koalitions­gesprächen wird auch über Schulz abgestimmt. Mitte März war er noch der 100-Prozent-Messias. Nun dürfte er froh sein, mit einem achtbaren Ergebnis wiedergewä­hlt zu werden.

„Die SPD kann stolz sein

auf das, was sie in dieser Regierung

geleistet hat.“

Martin Schulz

SPD-Parteichef

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FOTO: SCHWAZ/AFP Martin Schulz will sich heute vom SPD-Parteitag grünes Licht für Gespräche mit der Union geben lassen.

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