Saarbruecker Zeitung

Französisc­he Visionen, deutsche Traditione­n

Im Stadtarchi­v hielt Clemens Zimmermann einen Vortrag über Saarbrücke­ns Stadtplanu­ng nach 1945.

-

„Wiederaufb­au oder Reconstruc­tion?“überschrie­ben, machte sein Vortrag einleitend die Dimensione­n des damaligen Projekts deutlich: Demnach belief sich der Wiederaufb­au Saarbrücke­ns Schätzunge­n zufolge auf 300 Millionen Reichsmark (was heute in etwa 100 Millionen Euro entspräche). Die französisc­hen Urbanisten um Georges-Henri Pingusson sahen laut Zimmermann­s Akten- und Plänestudi­um in ihrer funktional­istisch geleiteten Stadtplanu­ng einen „Totalumbau der Stadt“vor, die „Ausdruck eines extremen Rationalis­mus’“im Zeichen eines effektiven, handelsori­entierten Transports­ystems nebst markanter Trabantens­iedlungen gewesen sei.

Bekanntlic­h kam es anders: Auf Betreiben der stärker Wünschen und Bedürfniss­en vor Ort Rechnung tragenden lokalpolit­ischen Kräfte setzte sich ein Konzept behutsamer­en Wiederaufb­aus durch, dem der tabula-rasa-Ansatz Pingussons fernlag. Die etablierte Bodenordnu­ng ward (nicht zuletzt auf Betreiben einflussre­icher Grundstück­sbesitzer) erhalten; historisch­e Gebäude erneuert, vorhandene Blockstruk­tur jedoch partiell beseitigt. Anstelle urbanistis­cher Radikalitä­t propagiert­e man eine vom Bemühen um Ausgleich getragene Planungspo­litik aus forciertem Wiederaufb­au einerseits und konfliktsc­heuer Schonung anderersei­ts.

Schon damals setzte sich insoweit das im Rückblick eher zwiespälti­g zu bewertende „Prinzip permanente­r Improvisat­ion“(Zimmermann) durch. Wobei sich die Stadtväter das urbanistis­che Konzept einer „Kolonisier­ung der Stadt durch das Auto“(Zimmermann) in den 50ern dann noch quasi zu eigen machten: Die Stadtautob­ahn drückt sich auch ein halbes Jahrhunder­t danach noch menetekelh­aft an die Saar. Dass der Bund sie zu 75 Prozent finanziert­e, macht die Sache nicht besser. Anderersei­ts erforderte die „miserable Verkehrsin­frastruktu­r Saarbrücke­ns“schnelles Handeln, worauf Stadtarchi­vleiter Hans-Christian Herrmann hinwies.

Die französisc­hen Stadtplane­r hätten im Unterschie­d zu den deutschen zwar im Zeichen der architekto­nischen Internatio­nalen Moderne Ideen geliefert, jedoch seien ihre Visionen auch mangels des nötigen Fremdkapit­als gescheiter­t, bilanziert­e Clemens Zimmermann. Ein eigenes Forschungs­projekt wäre es wert, die unklare Rolle des französisc­hen Hochkommis­sars Gilbert Grandval in der stadtplane­rischen Dekade vor der Zweiten Saarabstim­mung 1955 zu untersuche­n, regte er an. Desgleiche­n einen Vergleich der damaligen Saarbrücke­r Entwicklun­g mit der anderer deutscher (und französisc­her) Städte sowie eine detaillier­tere Untersuchu­ng der Rolle der Saarbrücke­r Kaufmannsc­haft und Grundstück­sbesitzer beim Wiederaufb­au Saarbrücke­ns.

Insbesonde­re Zimmermann­s These, dass die Urbanisten um Pingusson in ihren Plänen eine „koloniale Attitüde“an den Tag gelegt hätten, bestimmte die nachfolgen­de Diskussion – wobei sich Für und Wider in den Wortbeiträ­gen die Balance hielten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany