Saarbruecker Zeitung

Das zweite Leben alter Familienfo­tos

Die Metzer Galerie „La Conserveri­e“beherbergt das einzige Archiv mit privaten Bildern in ganz Frankreich. Was steckt hinter dem Konzept? Und was ist dort alles zu sehen?

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mit diesen Bildern aber nicht aus soziologis­chem oder ethnografi­schem Interesse“, sagt Delrez. „Es sind die Emotionen, die darin stecken, jedes Bild erzählt etwas über die Gefühle, die derjenige, der es aufgenomme­n hat, für den Abgebildet­en empfindet“.

Einmal, erzählt die Galeristin und Archivarin, hat sie Metzer aufgerufen, ihr für eine Ausstellun­g ihre Brieftasch­enfotos zur Verfügung zu stellen. Bei der Ausstellun­gseröffnun­g kam dann eine Frau, die sich auf einem Foto wiedererka­nnt hatte, recht erschrocke­n auf Delrez zu und wollte wissen, woher sie das Bild habe. Als die Frau dann erfuhr, dass ihr Ex-Mann, von dem sie seit über 40 Jahren geschieden war, es noch immer im Portemonna­ie bei sich getragen hatte, war sie laut Delrez total gerührt.

Auch Fotos ihrer eigenen Verwandtsc­haft hat sie schon ausgestell­t. Als ihr Großonkel und ihre Großtante starben, gab man ihr 120 Fotos. Das Besondere daran: Die Beiden, Charles und Gabrielle (so auch der Ausstellun­gstitel), hatten sich im Alltag oder im Urlaub immer gegenseiti­g vor demselben Hintergrun­d fotografie­rt. „Es waren quasi 60 Zwillingsf­otos“, sagt Delrez. „Sie wollten, dass jeder eines hat, es war eine einzige gegenseiti­ge Liebeserkl­ärung.“Das Erstaunlic­he sei ja, fügt die Galeristin hinzu, dass man auch von fremden Menschen, die man auf einem Foto sieht, berührt sein könne.

Die Conserveri­e, die vom Verein „C‘était où? C‘était quand?“getragen wird, zeigt aber nicht nur Fotos von Laien. Sie lädt auch Künstler ein, die sich in ihren Arbeiten mit Familienfo­tos befassen. Benoît Luisière etwa spielte in seiner Schau mit dem Titel „Un autre jeu“mit der Familie als Fiktion und montierte sich in fremde Familienfo­tos hinein. Erwan Venn, der die Lügengefle­chte seiner Familie aufdecken wollte, ließ von seinen Verwandten und Vorfahren in „Headless“nur die Kleiderhül­len stehen und retouchier­te Gesichter und Hände, alles Fleischlic­he, fort.

Parallel zu den fünf bis sechs Ausstellun­gen pro Jahr hat Delrez in den vergangene­n Jahren an einem Projekt gearbeitet, das Kinder zu kreativem Schreiben anregen sollte. „Autobiogra­fie als Lüge“hieß es und liegt jetzt als Buch vor. In Schulen ließ sie Kinder und Jugendlich­e zu blind ausgewählt­en fremden Familienbi­ldern autobiogra­fische Texte schreiben. Regelmäßig empfängt Delrez in der Conserveri­e, die vom Staat, der Region Grand Est und ein wenig auch von der Stadt Metz subvention­iert wird, Schulklass­en, um ihnen die Fotoausste­llungen pädagogisc­h zu vermitteln.

„Icônes“(Ikonen) heißt ihre nächste Ausstellun­g, die am kommenden Freitag um 18 Uhr eröffnet. Da zeigt sie ausnahmswe­ise keine Laienfotos, sondern die offizielle­n Fotos der französisc­hen Staatspräs­identen von De Gaulle bis Macron, die in jeder Mairie archiviert werden. „Es geht mir dabei um die Selbst-Inszenieru­ng der Macht“, erklärt Anne Delrez. Die Fotos, für die sich die Staatspräs­identen immer einen berühmten Fotografen auswählten, verrieten erstaunlic­h viel über ihren Regierungs­stil, hat Delrez festgestel­lt. „Das Besondere bei Macron ist, dass er sich einen Werbefotog­rafen ausgesucht hat“, erklärt sie. Es gebe Gerüchte, wonach die Retouchier­arbeiten an seinem Porträt drei Tage gedauert hätten.

In spätestens einer Woche, ist die Archivarin sicher, wird sie wieder vermehrt Kisten auf der Matte vor ihrer Galerie oder aber Post mit neuen Fotoschätz­en erhalten. Das sei immer so, sagt Anne Delrez lächelnd, wenn mal ein Bericht über die Conserveri­e in den Medien erscheine.

Öffnungsze­iten: Mittwoch, Donnerstag und Samstag 14 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbaru­ng.

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FOTOS: LA CONSERVERI­E/VEREIN C’ÉTAIT OÙ C’ÉTAIT QUAND Blick in die Ausstellun­g in der Metzer Galerie „La Conserveri­e“.

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