Ein verfaulendes Land
Neu im Kino: „Clair Obscur“von Yesim Ustaoglu – Komplexes Drama über zwei Frauen in der Türkei
Auf den ersten Blick könnten die beiden Frauen nicht unterschiedler sein. Chehnaz (Funda Eryigit) ist eine attraktive Frau um die Dreißig. Sie ist mit dem Cem (38) verheiratet, den sie bewundert. Sie geben ein beneidenswertes Paar ab und leben in Istanbul in einer schicken Wohnung. Cem ist ein erfolgreicher Architekt. Er ist rational, neigt dazu, seine Frau zu bevormunden und kritisiert sie ständig dafür, dass sie zu emotional sei. Chehnaz hat gerade ihre Ausbildung zur Psychologin beendet und muss nun wochentags ein Pflichtpraktikum in einem Krankenhaus in einer abgelegenen Küstenstadt absolvieren.
Die junge Elmas (Ecem Uzun) wurde noch als Kind von ihrem Vater mit einem entfernten Verwandten verheiratet und landete so in dieser für sie fremden Stadt. Sie arrangiert sich so gut sie eben kann mit einem viel älteren Mann und seiner Mutter, die an Diabetes erkrankt ist. Elmas leidet emotional und körperlich, wenn ihr Mann mit ihr schlafen will. Ihre religiöse Erziehung schreibt ihr vor, ihrem Mann jeden Wunsch zu erfüllen und sie fühlt sich extrem schuldig, dass sie ihn beim Sex nicht befriedigen kann. Als der Mann unerwartet stirbt, führt das Schicksal die beiden Frauen zusammen. Elmas wird zur psychologischen Betreuung zu Chehnaz geschickt.
Für die Regisseurin Yesim Ustaoglu ist „Clair Obscur“ein psychologischer Reigen zweier Frauen in der Türkei, Die Psychologin Chehnaz (Funda Eryigit) muss eine traumatisierte junge Frau betreuen. „denen es weder vergönnt war, unabhängig heranzuwachsen, oder ihre eigene Persönlichkeit selbst zu entdecken, zu lieben und geliebt zu werden, oder eine wirkliche, selbstbestimmte Beziehung zu führen.“Sie seien innerlich verletzt, ohne es vielleicht selbst benennen zu können. „Die Auswirkungen dieser psychologischen Verletzungen sind auf Mikround Makroebene quer durch unsere Gesellschaft zu spüren“, so Ustaoglu, „einer Gesellschaft, die von innen heraus verfault.“
Die Fachzeitschrift „filmdienst“schreibt über das Werk: „Das komplexe Drama über traditionalistische Rollenbilder von Körper, Sexualität und Persönlichkeit setzt die Befindlichkeiten der aufgewühlten Frauen in eine existenzialistische Bildsprache um, bleibt dabei aber eher akademisch, als dass es berührt.“tr/red
Tür/F/D/Polen 2016, 105 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Yesim Ustaoglu; Kamera: Michael Hammon; Musik: Antoni KomasaLazarkiewicz; Darsteller: Funda Eryigit, Mehmet Kurtulus, Ecem Uzun, Okan Yalabik.