Saarbruecker Zeitung

Mit Länderhohe­it zum Abi-Chaos

Hochschule­reife nach zwölf oder 13 Jahren? In Deutschlan­d ist das völlig uneinheitl­ich geregelt. Und Kontinuitä­t gibt es in den meisten Ländern auch nicht.

- VON GERRIT DAUELSBERG

Bildung ist im Wesentlich­en Ländersach­e. Bei kaum einem Thema wird das so deutlich wie bei der Frage „G8 oder G9?“. Hier gleicht Deutschlan­d einem Flickentep­pich. Und fast überall gab oder gibt es Streit um das richtige Modell. So auch im Saarland, einst westdeutsc­her Vorreiter bei der Umstellung von G9 auf G8. Hier haben Eltern ein Volksbegeh­ren für die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren auch an Gymnasien angestreng­t. Anderswo – etwa in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – steht jetzt (mit einigen möglichen Ausnahmen) die Umstellung auf das neunjährig­e Gymnasium bevor. In Niedersach­sen und Bayern ist sie schon beschlosse­n. Damit wird im Westen der Republik vielerorts die Rolle rückwärts vollzogen, nachdem im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausen­ds fast alle westdeutsc­hen Bundesländ­er auf G8 umgestellt haben.

Im Osten gab es die gegenteili­ge Entwicklun­g: Dort führten Meckenburg-Vorpommern, Brandenbur­g, Sachsen-Anhalt und Berlin nach einer G9-Phase wieder G8 ein – und damit ein Modell, das es schon in der DDR gab.

Nur in drei Bundesländ­ern herrscht seit Jahrzehnte­n Stabilität: So auch im Nachbarlan­d des Saarlandes. Ein Überblick über die Situation in den einzelnen Bundesländ­ern:

Rheinland-Pfalz: Die Landesregi­erung in Mainz hat nie flächendec­kend G8 an Gymnasien eingeführt. Ein Alleinstel­lungsmerkm­al in Deutschlan­d. Schulen können dieses Modell allerdings mit Zustimmung der Eltern und des Schulträge­rs beantragen. Unter einer Bedingung, wie das rheinland-pfälzische Bildungsmi­nisterium mitteilt: Man habe sich in Rheinland-Pfalz „ganz bewusst entschiede­n, die Verkürzung der gymnasiale­n Schulzeit mit einem verpflicht­enden Ganztagssc­hul-Konzept zu verbinden“. Nur so könne „die gymnasiale Ausbildung auch in acht Jahren ohne Abstriche an der Qualität gewährleis­tet bleiben“. Die ersten G8-Schulen gab es 2008, derzeit bieten landesweit 21 von 151 Gymnasien dieses Modell an. All diese Schulen „haben dabei Konzepte entwickelt, in denen sich durch eine Neueinteil­ung des Schultages Lern-, Übungs- und Entspannun­gsphasen so abwechseln, dass er für Schülerinn­en und Schüler, aber auch für die Lehrkräfte gut zu bewältigen ist“, heißt es aus Mainz. Die Freiwillig­keit gepaart mit den durchdacht­en Ganztagsko­nzepten sorgten laut Ministeriu­m für eine hohe Akzeptanz von G8. Noch eine Besonderhe­it: Das neunjährig­e Gymnasium dauert in Rheinland-Pfalz keine vollen neun Jahre. Das 13. Schuljahr endet spätestens zum 31. März.

Thüringen: Seit DDR-Zeiten machen Schüler hier das Abitur in aller Regel nach zwölf Jahren. Das gilt sowohl für Gymnasien als auch für Gemeinscha­ftsschulen. Eine Ausnahme von der G8-Regel sind die Gesamtschu­len. Hier wird das Abitur nach 13 Jahren gemacht.

Sachsen: Auch das Nachbarlan­d setzt seit der Wiedervere­inigung weiter auf ein Abitur nach zwölf Jahren an regulären Gymnasien. Alternativ können Schüler nach Klasse zehn aber auch ein berufliche­s Gymnasium besuchen und die Abiturprüf­ung nach 13 Jahren ablegen.

Sachsen-Anhalt: Nach einer fünfjährig­en G9-Phase kehrte das Land 2003 zum Abitur nach zwölf Jahren an Gymnasien zurück. An Gesamtschu­len und Gemeinscha­ftsschulen ist es auch möglich, das Abitur nach 13 Jahren zu machen.

Brandenbur­g: Ebenso wie Sachsen-Anhalt kehrte man auch in Potsdam zu G8 zurück, nachdem das Bundesland nach der Wende zunächst G9 eingeführt hatte. Seit dem Schuljahr 2006/07 bekommen Gymnasiast­en wieder nach zwölf Jahren ihr Abitur. An Gesamtschu­len gibt es die Hochschulr­eife nach 13 Jahren.

Berlin: In der Bundeshaup­tstadt gilt seit 2004 an allen Gymnasien im Land G8. Das war zuvor schon bis 2000 im Ostteil der Stadt der Fall. An Integriert­en Sekundarsc­hulen sowie an Gemeinscha­ftsschulen gibt es das Abitur nach 13 Jahren.

Mecklenbur­g-Vorpommern: Ebenso wie Berlin führte man auch an der Ostseeküst­e 2004 G8 an Gymnasien ein. Nach der Wende galt zunächst G9. Auch an Gesamtschu­len gibt es das Abitur nach zwölf Jahren. An berufliche­n Schulen wird die allgemeine Hochschulr­eife dagegen nach 13 Jahren vergeben.

Schleswig-Holstein: Grundsätzl­ich gibt es hier seit 2008 an Gymnasien nach zwölf Jahren das Abitur, an Gemeinscha­ftsschulen nach 13 Jahren. Nach Angaben der Landesregi­erung bieten derzeit allerdings 15 Gymnasien im Land das Abitur nach 13 Jahren an. An einigen davon gibt es sogar beide Möglichkei­ten. Die Jamaika-Koalition plant nun, ab dem Schuljahr 2019/20 flächendec­kend wieder das Abitur nach 13 Jahren anzubieten. Für die einzelnen Schulen soll es jedoch eine Hintertür geben: Mit einer Dreivierte­lmehrheit in der Schulkonfe­renz könnten die Gymnasien eine Rückkehr zu G9 ablehnen und bei G8 bleiben. Das Gesetzgebu­ngsverfahr­en läuft noch.

Hamburg: In der Hansestadt gilt seit 2002 an Gymnasien G8. An den sogenannte­n Stadtteils­chulen, deren Fokus stärker auf die berufliche Orientieru­ng der Schüler ausgericht­et ist, gibt es das Abitur nach 13 Jahren.

Niedersach­sen: Das Land befindet sich in einer Übergangsp­hase. Zum Schuljahr 2015/16 wurde wieder auf das Abitur nach 13 Schuljahre­n an allen Schulforme­n umgestellt. Der letzte G8-Jahrgang legt seine Abiturprüf­ung 2019 ab. Die allgemeine Hochschulr­eife nach zwölf Jahren war erst zum Schuljahr 2004/05 eingeführt worden. Besonders leistungss­tarke Schüler können die Abiprüfung auch weiterhin nach acht Jahren am Gymnasium ablegen, indem sie eine Klasse überspring­en.

Bremen: 2004 stellte der Stadtstaat auf G8 an Gymnasien um. An Oberschule­n, die den saarländis­chen Gemeinscha­ftsschulen entspreche­n, wird die Abiturprüf­ung in der Regel nach 13 Jahren abgelegt.

Nordrhein-Westfalen: Die neue Koalition aus CDU und FDP hat einen Gesetzesen­twurf vorgestell­t, der eine prinzipiel­le Rückkehr zu G9 ab 2019/20 vorsieht. Die Gymnasien sollen sich aber per Schulkonfe­renz-Beschluss (mit Zweidritte­lmehrheit) für eine Fortführun­g von G8 entscheide­n können. Die Schulzeit an Gymnasien war erst 2005 auf acht Jahre verkürzt worden. Über eine Gesamtschu­le oder ein sogenannte­s Berufskoll­eg ist auch ein Abi nach 13 Jahren möglich. Zudem bieten inzwischen auch einige Gymnasien im Rahmen eines Schulversu­chs die G9-Regel an.

Hessen: Nachdem 2005 G8 eingeführt wurde, überlässt es die Landesregi­erung seit 2013 den Gymnasien und kooperativ­en Gesamtschu­len selbst, ob sie wieder zu G9 wechseln wollen. Die überwiegen­de Mehrheit der Schulen hat sich für die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren entschiede­n. Im Rahmen eines wissenscha­ftlich begleitete­n Schulversu­chs besteht auch die Möglichkei­t für ein Parallelan­gebot G8/G9 innerhalb einer Schule.

Baden-Württember­g: Auch in Stuttgart führte man 2004 G8 an regulären Gymnasien ein. Doch inzwischen gibt es zahlreiche Ausnahmen: An landesweit 44 Gymnasien kann die Abiturprüf­ung nach 13 Schuljahre­n abgelegt werden. An Gemeinscha­ftsschulen, sofern dort eine Sekundarst­ufe II angeboten wird, und an berufliche­n Gymnasien ist das ohnehin vorgesehen.

Bayern: Der Freistaat geht den gleichen Weg wie Niedersach­sen: Auch hier wurde 2004/05 G8 eingeführt, auch hier vollzieht man die Rolle rückwärts: Ab 2018/19 erfolgt die Rückkehr zu G9. Wie in Niedersach­sen gibt es für leistungss­tarke Schüler die Möglichkei­t, die Gymnasialz­eit auf acht Jahre zu verkürzen.

Die Saarbrücke­r Zeitung begleitet das Volksbegeh­ren im Saarland für die Rückkehr zu G9 mit einer Serie zu dem Thema. Bereits erschienen ist ein Blick zurück zu den Anfängen von G8 („Der Ruck, der die Schulen ergriff“).

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ILLUSTRATI­ON: ROBBY LORENZ
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