30 Blicke auf die deutsch-französischen Beziehungen
Politiker, Künstler und Bankenchefs schreiben über ihre individuellen Erfahrungen im grenzüberschreitenden Alltag.
SAARBRÜCKEN (mzt) Ein Fragezeichen fehlt. Mindestens. Der Buchtitel „Beziehungsstatus: kompliziert“mag zur politisch verunsicherten Gegenwart passen, führt aber in die Irre, weil er suggeriert, dass Probleme, Missverständnisse, Irritationen, ja, Verletzungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich die 30 Beiträge dieses Sammelbandes dominieren. Nicht dass das Komplizierte verschwiegen würde, doch mehr Raum nimmt das Verbindende, Gelungene, Glückende und Beglückende im Miteinander von Deutschen und Franzosen ein.
Die Stärke des Buches liegt in seiner Vielfalt. Darin spiegelt sich die lebendige und gerade deshalb auch nicht spannungsfreie Vielfalt der deutsch-französischen Beziehungen. 33 Autoren unterschiedlicher Herkunft und Profession haben aus einem jeweils anderen Blickwinkel zu dem Buch beigetragen: Politiker wie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Wirtschaftsvertreter wie Daniel Hager, Vorstandsvorsitzender der Hager Group, und der Chef der französischen Nationalbank François Villeroy-Galhau, Künstler wie die Sopranistin Charlotte Dellion und der Maler Jo Enzweiler, und mit Gerhard Weber ist auch ein Gastronom aus Paris mit von der Partie.
So stehen anrührende Familiengeschichten neben historisch-politischen Analysen, heitere Cartoons neben Reflexionen über Kunst und Literatur. Saarländisch-lothringische Perspektiven herrschen vor. Schließlich stammen die meisten Autoren aus der Saar-Lor-Region oder leben hier. Auch wenn manchmal eitle Ausführlichkeit und holprige Erzählweise das Lesevergnügen trübt, lohnt sich die Lektüre. „Beziehungsstatus: kompliziert“ist informativ, bereichernd und auch unterhaltsam.
Die in dem Buch versammelte Vielstimmigkeit hat einen erfreulichen Nebeneffekt. Sie wirkt den zählebigen Klischees entgegen, die das Bild der Franzosen von den Deutschen sowie der Deutschen von den Franzosen nach wie vor mitprägen, wie die Politikwissenschaftlerin Christiane Deußen in einem erhellenden Aufsatz darlegt. Das wirksamste Mittel gegen giftige Stereotype oder auch gegen harmlose Missverständnisse ist, so Deußen, dass Deutsche Französisch und Franzosen Deutsch lernen. Die Sprache ist eben der „Schlüssel zur Kultur des anderen Landes“.
Das Sprachenlernen ist aber so eine Sache, für die Franzosen, wie die Schriftstellerin Birgit Vanderbeke anmerkt, „etwas Ähnliches wie der Gang durchs Fegefeuer“. Für viele Deutsche dürfte es wohl kaum vergnüglicher sein. Für alle sprachlich weniger versierten deutsche Leser sei angemerkt, dass erfreulicherweise alle französischen Texte in einem Anhang übersetzt vorliegen. Die sprachlichen Defizite – und ihre oft amüsanten Folgen – spielen denn auch in einer ganzen Reihe von Beiträgen eine erhebliche Rolle. Trotz der nur mühsam überwindbaren sprachlichen Hürden haben sich zwischen Frankreich und Deutschland aber auf vielen Ebenen dichte Beziehungsnetze gespannt. Denn eine Erkenntnis hat sich inzwischen durchgesetzt, wie Johannes von Thadden, Topmanager im deutsch-französischen Luftfahrtkonzern Airbus, schreibt: „Franzosen und Deutsche lernen immer wieder neu: Keiner kann auf Dauer ohne den anderen, ohne sich selbst zu schaden.“
Beziehungsstatus: kompliziert, herausgegeben von Markus Gestier und Katrin Mikulcic, Conte Verlag, St. Ingbert, 464 Seiten, 22,90 Euro.