Saarbruecker Zeitung

Die politische Schande hinter dem Attentat von Berlin

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Der Anschlag auf die Besucher des Weihnachts­marktes an der Berliner Gedächtnis­kirche hat die ganze Verwundbar­keit unserer Gesellscha­ft gegenüber einem solchen Fanatismus gezeigt. Sie war trotz aller brutalen Vorbilder aus anderen Ländern nicht darauf vorbereite­t. Sie war es nicht vor dem Anschlag, nicht danach und sie ist es in gewisser Weise auch heute noch nicht. Unsere Gesellscha­ft ist friedferti­g, das ist gut. Sie ist aber auch vergesslic­h und naiv, in manchem so wenig wehrhaft wie eine ungesicher­te Schafherde im Wolfsgebie­t.

Die Blauäugigk­eit fing damit an, dass vor einem Jahr keine Betonpolle­r diesen so prominente­n Weihnachts­markt schützten, wie auch die anderen Weihnachts­märkte in Deutschlan­d nicht geschützt waren. Obwohl man spätestens seit Nizza wusste, dass die Terroriste­n die Methode der Tötung mittels Lastwagen benutzten und Weihnachts­märkte zu ihren Zielen zählten. Und sie hört damit auf, dass auf dem Mahnmal, das heute enthüllt wird, nur stehen wird: „Zur Erinnerung an die Opfer des Terroransc­hlages am 19. Dezember 2016.“Nicht, dass es ein islamistis­cher Terroransc­hlag war. Warum so zurückhalt­end?

Dazwischen liegt eine regelrecht­e Kette von Fehleinsch­ätzungen, Versagen und Unsicherhe­it. Wenn sich nur ein einziger Beamter in den Sicherheit­sbehörden von seiner (falschen) Routine gelöst hätte, wenn sich nur einer verantwort­lich gefühlt hätte, dann hätte der Anschlag nie stattgefun­den. Dann würden die zwölf Menschen noch leben, denn der Täter wäre längst abgeschobe­n gewesen. Die Behörden hatten ihn so deutlich auf dem Schirm wie kaum einen anderen Gefährder, sie hatten so viel gegen ihn gesammelt, dass es für drei Abschiebun­gen gereicht hätte – alle aber schoben nur die Verantwort­ung hin und her. Bis es zu spät war. Kein einziger Beamter ist deswegen abgelöst worden. Kein einziger Senator in Berlin oder Minister in Nordrhein-Westfalen hat deswegen seinen Rücktritt erklärt. Das ist und bleibt die große politische Schande hinter diesem Attentat.

Die zweite liegt im Umgang mit den Opfern. Das fängt ganz oben an, bei der Kanzlerin. Erst gestern fand Angela Merkel Zeit und Kraft für ein Treffen mit den Hinterblie­benen. Vor einem Jahr wollte man den Anschlag nicht zu hoch „hängen“, weil er wie ein Beweis für die These der Rechten wirkte, dass man sich mit den Flüchtling­en den Terror ins Haus geholt habe. Dabei gehörte der Täter gar nicht zu den Syrien-Flüchtling­en. Die Unfähigkei­t, mit den Opfern adäquat umzugehen, zeigte sich auf allen Ebenen und ging bis dahin, dass die Familien Rechnungen für die Obduktione­n zugeschick­t bekamen. Obwohl der Terrorismu­s, der islamistis­che zumal, ein weltweites Phänomen ist, obwohl er in kleinerem Umfang vorher auch in Deutschlan­d schon zugeschlag­en hatte, gab und gibt es bis heute keine Kultur der Hilfe für seine Opfer. Das muss rasch anders werden.

Der Schäfer, um im Bild zu bleiben, muss sich darauf einstellen, dass seine Herde angegriffe­n werden kann. Er muss Vorkehrung­en treffen. Konsequent­er als bisher. Weil die Welt so ist, wie sie ist.

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